Der Hybride Konsiliar ist ein interdisziplinäres Projekt von
Medizinern und Informatikern, in dem ein klinisch orientiertes, hybrides
Informationssystem für die Neurowissenschaften entwickelt werden
soll. Für den informatischen Partner stellt sich HYBRIKON als Möglichkeit
dar, informatische Methoden der Wissensmodellierung und Repräsentationsformen
auf einer umfangreichen medizinischen Domäne, hier Teilgebieten der
Neurowissenschaften, anzuwenden und zu evaluieren.
Das Projekt wurde von 1992 bis 1995 im Rahmen von MEDWIS (Wissensbasen
in der Medizin) vom Bundesministerium für Forschung und Technologie
gefördert. Die medizinischen Partner waren:
Das System besteht aus einer symbolverarbeitenden und einer bildverarbeitenden
Komponente.
Wir entwickelten die symbolische Komponente: Ein wissensbasiertes System,
das aktuelles Wissen der Neurowissenschaften enthält. Hierbei beschränken
wir uns vorerst entsprechend der Spezialisierungen unserer klinischen
Partner auf Informationen über die höheren Hirnfunktionen: Gedächtnis,
Sprache und Motorik. Außerdem soll das im Hybriden Konsiliar enthaltene
Wissen stets einen Bezug zur neuroanatomischen Struktur haben. Im Laufe
der ersten Projektphase zeigte sich, daß bei allen Partnern ein
reges Interesse an einem Transmittersystemmodell besteht. Daher haben
wir als Erweiterung des geplanten Projekts ein solches Modul vorgesehen.
Die Integration der bild- und symbolverarbeitenden Komponente setzt eine
gemeinsame Schnittstelle voraus. Daher enthält unser System einen
symbolischen Hirnatlas, der Wissen über Arealhierarchien, Bahnverbindungen
und räumliche Nachbarschaftsbeziehungen aufnehmen kann. Es ist vorgesehen,
daß man den topographischen Einheiten des symbolischen Hirnatlas
Koordinaten der vermessenen Strukturen des digitalen Atlas zuordnen kann,
womit die Kopplung realisierbar ist. Auf dem symbolischen Atlas, der ein
Modell für die Topographie ist, können funktionelle Aussagen
aufsetzen. Wir unterscheiden bei der Modellierung neuromedizinischen Wissens
drei methodisch getrennte Blöcke (siehe Abbildung Modellierung
in HYBRIKON): Die Axiomatisierung, die Modellkonstruktion und die
Implementierung auf einem Digitalrechner.
Modellierung in HYBRIKON
In der ersten Phase, der Axiomatisierung, wird eine Theorie aufgestellt.
Dies beginnt mit der Festlegung relevanter Objekte, wie z.B. morphologischer
Areale, Bahnen und funktioneller Zentren. Hierauf folgt eine Zusammenstellung
von interessierenden Beziehungen (Relationen) zwischen diesen Objekten.
Neben den neuroanatomischen Fakten muß auch die Hintergrundtheorie
erfaßt werden. Hierunter verstehen wir die Gesamtheit der logischen
und geometrischen Sachverhalte, die Objekte und Relationen betreffen.
Ferner gehören der Hintergrundtheorie auch typische Schlußweisen
und Denkmuster von neurowissenschaftlichen Experten an. Selbstverständlich
muß die Axiomatisierung unvollständig bleiben. Es geht darum,
wesentliche Teile von Faktenwissen und Hintergrundtheorie formal zu beschreiben,
d.h. in der Prädikatenlogik erster Stufe oder einer geeigneten Erweiterung.
Endprodukt der Axiomatisierung ist also eine logische Theorie bestehend
aus Fakten- und Hintergrundwissen.
Die Phase der Modellkonstruktion ist das eigentliche Bindeglied zwischen
Axiomatisierung und Implementierung auf einem Rechner. Es muß für
die aufgestellte Theorie ein Modell ( genauer eine parametrisierte Modellschar)
konstruiert werden, in dem die Interpretation der Objekte und Beziehungen
so erfolgt, daß alle in der Theorie enthaltenen Formeln gemäß
der Semantik der ersten Stufe der Prädikatenlogik gültig sind.
Diese Phase liefert also im wesentlichen zwei Ergebnisse:
1. Den Konsistenzbeweis für die Theorie. Wir wissen dann,
daß die Theorie keinen Widerspruch enthält.
2. Das mengentheoretische Modell, das als Grundlage für eine
Implementierung auf dem Rechner dienen kann.
Zu beachten ist, daß die Modelle nicht nur die Axiome für
unsere Hintergrundtheorie erfüllen, sondern daß auch die atomaren
Fakten in den Modellen gültig sein müssen. Dies ist die eigentliche
Schnittstelle zwischen dem Faktenbestand, der in einem ER-Modell repräsentiert
ist, und der Hintergrundtheorie. Wir realisieren diese Verbindung, indem
wir Modelle konstruieren, die saturiert sind. Saturierte Modelle sind
solche, in die man andere Modelle monomorph (strukturerhaltend) einbetten
kann. Durch die Kopplung der unterschiedlichen Repräsentationsformen
über saturierte Modelle können wir den "`konstanten"' Teil unseres
neuroanatomischen Wissens, einmal modelliert, immer wieder nutzen. Die
sich fortwährend ändernde und erweiternde Faktenbasis läßt
sich einfacher in einem Datenbanksystem verwalten und dann in die saturierten
Modelle unserer Hintergrundtheorie einbetten, wobei wir die Modelle nicht
immer wieder neu konstruieren müssen.
In der Implementierungsphase wird das mengentheoretische Modell in entsprechende
Datenstrukturen und Prozeduren einer höheren Programmiersprache umgesetzt.
So muß z.B. eine Arealhierarchie durch die Suche in einer baumartigen
Datenstruktur realisiert werden. Das ER-Modell zur Beschreibung des Faktenwissens
wird in entsprechende Datenbankschemata übersetzt.
Zusammenfassend soll festgestellt werden, daß durch die Dreiteilung
der Modellierung in Axiomatisierung, Modellkonstruktion und Implementierung
ein gutes Monitoring der gewünschten Systemperformanz gewährleistet
ist. Insbesondere liefert die Modellkonstruktion als Brückenschlag
zwischen der rein logischen Beschreibung und der Realisierung auf einem
Rechner einen wichtigen Beitrag. Da es sich um ein Konsultationssystem
für einen komplexen, stets zu erweiternden oder zu verändernden
Wissensbereich handelt, ist die Entwicklung benutzergerechter Schnittstellen
für die Systempflege, Akquisition und Konsultation von entscheidender
Bedeutung für die Akzeptanz des Systems.
Zur Konsultation sind zwei alternative Zugriffsmöglichkeiten vorgesehen:
Eine natürlichsprachliche Schnittstelle soll dem Anwender die Möglichkeit
bieten, seine Fragen in stark eingeschränkter natürlicher Sprache
zu formulieren. Diese Fragen werden mit Hilfe eines übersetzers in
eine SQL-Anweisung zur Datenbankanfrage oder ein Suchprogramm einer höheren
Programmiersprache übersetzt. Eine grafische Zugriffskomponente soll
dem Anwender die Möglichkeit bieten, das ER- Modell bzw. ein visualisiertes
Graphmodell des symbolischen Atlas zu Anfragezwecken zu nutzen. Da unser
eingebettetes Wissen stets einen topographischen Bezug hat, bietet sich
alternativ die Einbindung von Abbildungen aus Standardatlanten an.
Bei der Entwicklung von Informationssystem und Werkzeugen zur Systempflege
und Akquisition stellt sich als weitere Aufgabe die Evaluation und Validierung
des Systems. Für die Bewertung und Evaluation sowohl der Modellierung
als auch der Benutzerschnittstellen müssen Qualitätskriterien
erarbeitet werden. Diese erfordern nicht nur die Anwendung allgemeiner
arbeitswissenschaftlicher Maßstäbe, sondern auch die Beobachtung
der speziellen Kommunikationsformen und -probleme zwischen Informatikern
und Medizinern beim Wissensengineering.
Veröffentlichungen: [Brendel, Piron, Widdig 1992], [Brendel, Widdig,
Piron, Schinzel 1993], [Brendel, Widdig, Piron, Keyserlingk 1993].
Projektleitung: | Prof. Dr. Britta Schinzel |
Mitarbeiter: | Oliver Brendel, Rolf Widdig, Frank Piron |
Förderung: | BMFT, 4-92 bis 3-95 |
Projektstatus | abgeschlosssen |