Das Forschungsprojekt "Studiensituation von Informatikstudentinnen und -studenten im Vergleich" wurde vom 01.01.1993 bis zum 30.06.1995 vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Baden-Württemberg finanziell gefördert.
Bisher haben darin mitgearbeitet: Catrin Freyer M.A. (Soziologie), Dr. Christiane Funken (Soziologie), Prof. Dr. Britta Schinzel (Informatik), Karin Kleinn M.A. (Soziologie), Andrea Wegerle M.A. (Soziologie), Christine Zimmer M.A. (Soziologie), Christine Knecht.
Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, strukturelle Probleme im Informatikstudium zu untersuchen. Die rasche Entwicklung der Computertechnik hat zu besonders dynamischem Wachstum der Forschung in diesem Bereich geführt, und in der Folge auch zu einer raschen Veränderung der Studieninhalte. Das Informatik-Curriculum wird deshalb häufiger revidiert als in anderen Fächern, und hinkt dennoch teilweise der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung hinterher. Umgekehrt findet sich der Stand der Forschungsergebnisse nur sehr partikulär in der industriellen Praxis. Aufgrund dieser aus der enormen Dynamik der Hard- und Softwareentwicklung herrührenden Instabilität der Disziplin Informatik, sind insbesondere Diskrepanzen zwischen Studieninhalten und außeruniversitärer Praxis zu erwarten. Gemeint ist hier nicht der oft aus der Industrie gehörte Ruf nach Ausbildung in aktuellen Betriebssystemen etc., sondern eine auch auf zukünftige Bedürfnisse ausgerichtete Ausbildung, die insbesondere die Dynamik in dem Sinne ins Studium integriert, als Flexibilität, die Fähigkeit zum Selbststudium auf ausreichenden Grundlagen gewährleistet sind.
Die rasche Entwicklung der Computertechnik, wie des Faches Informatik bringt es mit sich, daß die Erwartungen an das Studium inkongruent mit den realen Studieninhalten sein können. Woher die Informationen über das Fach bezogen werden, kann dabei von größter Wichtigkeit sein, denn allein das Alter von Studienabgängern hat unterschiedliche Studienerfahrungen zur Folge. Natürlich können solche Informationen auch stark von Erfahrungen mit Informationstechnik und den Vorstellungen über ihre Herstellung geprägt sein. So ist bekannt, daß ein Teil der Studienanfänger und -anfängerinnen den Großteil der Beschäftigung im Studium fälschlich in Programmierung sieht.
Ein weiterer Grund für die Untersuchung war die Tatsache, daß seit Ende der 70er Jahre der Frauenanteil im Informatikstudium um fast die Hälfte (8,7% 1995) gesunken ist. Es sollte entsprechend eruiert werden, ob für die Aufnahme des Informatikstudiums oder im Verlauf desselben für Frauen behindernde Strukturen und Mechanismen wirksam sind. Aufgrund unserer InformatikschülerInnenstudie (Funken, Hammerich, Schinzel: Geschlecht, Informatik und Schule, Akademia Verlag 1996) war zu erwarten, daß männliche und weibliche InformatikstudentInnen mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen, Motiven und Erwartungen ins Studium gehen, was sich auch bestätigt hat.
Aufgrund der eruierten hohen Diskrepanzen zwischen den Studieninhalten der einzelnen Informatikstudiengänge, war es nicht möglich, eine differenzierte inhaltliche Bewertung anzustellen. Auch können StudentInnen das Studium jeweils nur aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen beurteilen, d.h. es wird ihnen schwer fallen, mögliche andere Inhalte von anderen Studienorten zu bewerten.
Hier standen u.a Fragen zur Schule (eventueller Besuch und Inhalt von Informatikkursen), konkrete Gründe für die Aufnahme des Informatikstudiums, möglicher Einfluß von Freunden, Lehrern, Eltern etc. auf die Wahl des Studienfaches sowie der Entscheidungszeitpunkt im Vordergrund.
Neben der Frage, welche Erwartungen die Studierenden an das Informatikstudium stellen bzw. gestellt haben, wurde nach der Erfüllung bzw. Nichterfüllung dieser Erwartungen gefragt, sowie nach der persönlichen Verarbeitung eventuell entäuschter Erwartungen und deren Konsequenzen für den weiteren Studienverlauf.
Die Frage nach den Voraussetzungen, die nach Ansicht der Studierenden für eine erfolgreiche Durchführung des Informatikstudiums notwendig ist, impliziert auch die Frage, ob die Studentinnen und Studenten um diese Voraussetzungen bei Studienbeginn wußten, oder ob sie ihnen erst im Laufe des Studiums selbst deutlich wurden und was dies für den weiteren Verlauf des Studiums bedeutet hat bzw. bedeutet.
Hier wurden Fragen gestellt zum Studieninhalt, zur Reihenfolge der Vermittlung, zur Studienstruktur und -organisation, zur Art der Lehrveranstaltungen, zur Wahl des Neben-, Ergänzungs- und Vertiefungsfaches, zur studentischen Arbeitsweise und zu den Zielen des Informatikstudiums. Eine Analyse der Studiensituation beinhaltet gleichermaßen die soziale Seite des Studienalltags sowie die Fachkultur unter den Studierenden, daher wurden Fragen zur Selbsteinschätzung, zu Gedanken an einen Studienabbruch oder Studienfachwechsel, zum Umgang mit fachlichen Fragen und/oder Schwierigkeiten, zur Redebeteiligung in Vorlesungen und Seminaren sowie zu Kommmunikationsstil und Umgangsformen der Studierenden untereinander gestellt.
Für die Untersuchung wurde ein standardisierter Fragebogen zur Befragung aller Informatikstudierenden des 1., 4. und 8. Fachsemesters entwickelt. Anfang 1994 wurden sämtliche Universitäten, die Informatik im Diplomstudiengang anbieten, mit der Bitte um Mitarbeit an der postalischen Befragung angeschrieben. Von den angeschriebenen Hochschulen konnten 15 - zehn westdeutsche und fünf ostdeutsche - Universitäten für eine Beteiligung an der Untersuchung gewonnen werden. Dies waren die Universitäten: Tübingen, Bonn, TU Berlin, TH Darmstadt, TH Braunschweig, Frankfurt, Saarbrücken, Humboldt-Berlin, TU Chemnitz-Zwickau, TU München, TU Ilmenau, Dortmund, Passau, Rostock und Dresden. Insgesamt wurden 5315 Informatikstudierende in die Stichprobe miteinbezogen, davon studierten 1072 (20%) in den neuen Bundesländern.
7% der befragten Studierenden waren AusländerInnen, wobei der Anteil der ausländischen Studentinnen 11%, während der der Studenten nur 6% war. Dies bedeutet, daß der Frauenanteil der deutschen InformatikerInnen noch geringer war als die genannten 8,7%.
Die Beliebtheit des Informatik-Unterrichtes könnte sich auf die Wahl des Studiums auswirken, sofern das Fach gewählt wurde. Hier haben wir starke Diskrepanzen zwischen Männern und Frauen festgestellt: Es zeigte sich, daß von den jüngeren Studenten erheblich mehr einen Informatik-Kurs an der Schule besucht haben als von denen aus dem 8. Semester, während bei den Studentinnen diese Tendenz nicht zu verzeichnen war. Ja umgekehrt, die Studentinnen gaben, je jünger, desto häufiger, an kein Interesse am Informatikunterricht gehabt zu haben und das Fach auch nicht gewählt zu haben, und studieren dennoch Informatik. Entsprechend fand sich nur ein kleiner Teil der Studentinnen (übrigens aber auch der Studenten) in seiner Entscheidung für das Studium durch den Informatikunterricht in der Schule stark beeinflußt. Dies ist insofern ein bemerkenswertes Ergebnis, als, wenn die InformatikstudentInnen diesen Einfluß richtig beurteilen, der Ort "Informatik an der Schule" möglicherweise nicht als Förderort für Informatikstudentinnen angesehen werden kann.
Wenn nun wenige Studentinnen in der Schule Computererfahrungen gemacht haben, und sie auch zu Hause (im Gegensatz zu den Studenten) meist keinen Zugang zu einem Rechner hatten, verwundert es nicht, daß sie nicht durch Computererfahrung zum Studium motiviert wurden. Die Beschäftigung mit dem Computer spielt als Motiv für die Studienfachwahl bei Studentinnen - im Gegensatz zu Studenten - keine Rolle. Keine der in der quantitativen Erhebung befragten Studentinnen nannte Interesse oder Erfahrungen am Computer als Grund für die Wahl des Studienfaches. Interesse am Computer, eigene Begabung und Fähigkeiten fanden sich bei den Studenten häufiger als Studienmotiv als bei den Studentinnen. Demgegenüber richteten die von uns befragten Informatikstudentinnen ihr Augenmerk auf die Zeit nach dem Studium und ihre berufliche Zukunft. Dies ist konsistent mit den Ergebnissen, daß Studenten sich in jüngerem Alter als Studentinnen zum Informatikstudium entschlossen haben. Letztere scheinen also erst nach dem Abgang von der Schule die Studienwahl zu treffen und demgemäß Berufsüberlegungen in den Vordergrund zu stellen.
Diese Ergebnisse stehen in krassem Widerspruch zu gängigen Annahmen über geschlechtsspezifische Unterschiede bei Studienmotiven, die allerdings eher von geschlechtsrollenkonformen Fächerwahlen herrühren. Informatikstudentinnen hingegen stellen sich, jedenfalls hinsichtlich der in Deutschland gängigen Vorstellungen über geschlechtstypische Interessen und Fähigkeiten, gegen diese Geschlechtsrollen.
ie Befunde zeigen sowohl bei den befragten Informatikstudentinnen als auch bei den Informatikstudenten eine ausgeprägte Orientierung an praxis- und anwendungsbezogenen Bereichen der Informatik, wobei die Studentinnen mehr zur Anwendungsseite tendierten als ihre Kommilitonen, die die systembezogenen Aspekte stärker betonten. Auch war theoretische Informatik bei den Frauen etwas gefragter als bei den Männern. Bezüglich der thematischen Orientierungen waren bei beiden Geschlechtern gleichermaßen die beruflichen Tätigkeiten neben dem Studium wesentlich für die Herausbildung spezifischer Interessen.
nsgesamt beurteilen die meisten Informatikstudierenden ihr Studium sehr positiv.Wenn Unzufriedenheit auftritt, so bezieht sie sich auf folgende Punkte:
Fehlender Praxisbezug ist der Hauptkritikpunkt am Studiengang Informatik. Um die Hälfte der Studierenden des 4. und 8. Semesters bemängelten fehlenden Gesellschaftsbezug, fehlende praxis- und berufsbezogene Anwendungsbeispiele (mehr Frauen als Männer), und daß Sinnzusammenhang und die praktische Verwertbarkeit des angebotenen Stoffes zuwenig oder zu spät deutlich gemacht würden. Eher den männlichen Studierenden war das Studium zu theorielastig und zu mathematisch, während den Frauen zu wenig Programmierkurse angeboten werden.
Hinsichtlich der Vermittlungsformen erscheinen Vorlesungen und Übungen im Grundstudium als adäquat, aber besonders im 2. Studienabschnitt forderten die Studentinnen eher Seminare, Projektgruppen und Praktika, wie sie überhaupt positive Lernerfahrungen stärker in Seminaren und Gruppenarbeit sammeln konnten, während die Kommilitonen auch aus Vorlesungen im Hauptstudium Wissen ziehen.
Wesentlicher Bestandteil des sozialen Klimas in einem Studiengang sind die Gespräche, sowie deren Themenwahl der Studierenden. Hier bestehen signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Während die Gespräche mancher Studenten häufig um die neuesten Soft- und Hardwareentwicklungen drehen, beeinflussen sie das emotionale Klima im Studiengang Informatik in der Weise, als sie Studentinnen das Gefühl vermitteln, im Grunde nichts von Informatik zu verstehen, was wiederum Verunsicherung und Zweifel hinsichtlich des gewählten Studienfaches auslöst.
Daß Studentinnen größere Selbstzweifel bezüglich ihrer eigenen Leistungsfähigkeit haben, beweist u.a. die Tatsache, daß mehr Studentinnen als Studenten angaben, die erhaltenen Noten seien besser als erwartet. Interessant ist zudem, daß doppelt soviele Studentinnen des 8. Fachsemesters wie Studentinnen des 4. Fachsemesters angaben, bessere Noten erhalten zu haben, als sie ursprünglich erwartet hatten. Darauf deuten auch die Antworten auf Fragen nach wichtigen Eigenschaften von InformatikerInnen. Insbesondere die befragten Informatikstudentinnen betonen die Wichtigkeit von Aspekten wie Selbstbewußtsein und Durchsetzungsvermögen, Eigenschaften, die also Frauen sich explizit aneignen müssen, während sie den meisten Studenten so selbstverständlich gegeben zu sein scheinen, daß sie nicht zusätzlich gefordert werden müssen.
Projektleitung: | |
Mitarbeiter: | Catrin Freyer M.A. |
Dr. Christiane Funken | |
Förderung: | Ministerium für Wissenschaft und Forschung, B.-W. |
Projektstatus: | abgeschlossen |