Einleitung Leben und Natur
Umsetzung einer
Evolution, Umwelt
Wege zur Komplexität
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und Komplexität
In der biologischen Evolution entstanden aus Aminosäuren Proteine
und Enzyme, aus denen später Zellen hervorgingen, die sich schließlich
zu multizellulären Lebewesen zusammenschlossen. Das ist ein Prozeß
zunehmender Komplexität, bei dem vielschichtige, geordnete Strukturen
wie der Mensch aus einfachen und ungeordneten Kohlenstoffverbindungen entstanden
sind.
Sollte eine digitale Evolution auch nur ansatzweise ähnlich komplex wie die biologische Evolution werden können, dürften die dabei entstehenden Informationsprozesse unsere heutigen Vorstellungen von dem, was mit Computern möglich ist, bei weitem übersteigen. Die Artificial Life-Forschung basiert auf der Prämisse, daß das Evolutionsprinzip theoretisch nicht allein auf das Kohlenstoffmedium beschränkt ist. Die digitale Evolution will sich jedoch – wie gesagt – die biologische Evolution nicht als Vorbild nehmen und damit schlicht simulieren. Vielmehr geht es darum, den Computer zu einer digitalen Umwelt zu machen, die mit geeigneten Lebewesen »geimpft« oder bevölkert und damit zum Schauplatz einer neuen Evolution wird. Doch schon vom Wesen dieser Umwelt her gelten für die Evolution in der Artificial Life-Forschung ganz andere Gesetze als für die Evolution, wie sie hier auf der Erde stattfand und stattfindet: Die Physik der digitalen Umwelt besteht aus den logischen Verknüpfungen von Prozessor, nicht-euklidischem (= nicht räumlich) Speicherraum, Resourcenverteilung und Hardware-Anweisungen. Zeit und Raum gibt es im Computeruniversum streng genommen nicht so, daß sie sich elegant nachbilden ließen, ohne der digitalen Umwelt einfach nur eine Simulation unserer Realität und unseres Universums überzustülpen. Räumliche Entfernung ließe sich im Computermedium höchstens als Zeit darstellen, die zur Bewegung einer bestimmten Menge von Code zwischen zwei Speicheradressen benötigt wird (wie in Tierra). Es gibt ohne echte Masse weder Gravitation, noch Energie in Form von Teilchenbewegung. Die Auswirkungen einer solchen grundsätzlich andersartigen Physik
auf die Evolution sind nicht zu unterschätzen. Es ist fraglich, ob
sie überhaupt Leben und Evolution so ermöglicht, daß wir
es tatsächlich nicht einfach nur mit der Nachahmung irdischer (»vierdimensionaler«)
Verhältnisse zu tun haben.
Komplexität der digitalen Umwelt bis zur Nichtlinearität Der wichtigste Aspekt bei der Auslösung einer künstlichen Evolution im digitalen Computermedium wird der sog. »Verlust der Kontrolle« sein. Dieser von Ray geprägte Begriff entstand, um die Problematik zu beschreiben, daß ein Computer normalerweise nur das tut, wozu er angewiesen wird. Alan M. Turing formulierte diese Tatsache im »Einwand der Lady Lovelace«. In ihrem Bericht über die Analytische Maschine, dem ersten Computervorläufer, der von Charles Babbage bereits im 19. Jahrhundert konstruiert wurde, schreibt sie: Die Analytische Maschine erhebt keinen Anspruch, irgend etwas zu erzeugen. Sie kann all das tun, wofür wir die entsprechenden Durchführungsbefehle geben können.Eine Evolution darf aber nicht berechnet und kontrolliert ablaufen, ihre Entwicklung darf nicht darauf basieren, daß der Programmierer laufend Befehle eingibt. Um die Vorhersagbarkeit eines »Evolutionsprogramms« auszuschalten, ist es also notwendig, daß das Programm sich selbstständig verändert und zunehmend komplex wird. Allein die Zunahme an Datenmengen kann jedoch nicht als evolutionäre Komplexitätszunahme gelten. Die Komplexität, die erstrebt wird, muß ähnlich dynamisch und verzweigt sein wie die Komplexität des Lebens, die aus den Jahrmillionen der irdischen Evolution hervorgegangen ist. Sie ist notwendig, um zu einer Nichtlinearität der digitalen Evolution zu gelangen, die letztlich zum Verlust der Vorhersagbarkeit und zur Selbstständigkeit des Programmcodes führt. Ein derartig geeignetes Programm würde hochkomplexe, dynamische Wachstumsbäume aus entstehenden Lebensformen aber auch »Naturphänomenen« ausbilden, die trotz ihrer Fundierung auf Berechnungen und einmal programmierten Computerbefehlen langfristig unvorhersagbar werden. Die biologische Umwelt mit ihrem Klima, dem Wetter oder auch den tektonischen
Bewegungen der Erde stellt ein sog. »offenes System« dar, in
dem Nichtlinearität und Chaos regieren. Geringste Veränderungen
der Systemzustände können unvorhersagbare Konsequenzen haben.
Das bekannteste Beispiel dafür ist der sog. »Schmetterlingseffekt«
nach Edward N. Lorenz: Ein Schmetterling schlägt in Japan mit den
Flügeln. Die unmerkliche Aufwirbelung der ihn umgebenden Luft entwickelt
sich derartig chaotisch, das dadurch zuletzt in Nordamerika ein Hurrikan
ausbricht.
Um eine derartig hohe Komplexität wie die der biologischen Evolution
zu erreichen, muß also auch die digitale Umwelt der Artificial Life-Forschung
einen Komplexitätsgrad besitzen, der Nichtlinearität zumindest
auf sehr lange Sicht ermöglicht.
Die sog. »Neuronalen Netze« der Informatik sind in der Lage,
Nichtlinearität programmiert hervorzubringen. Deshalb wird sich die
Artificial Life-Forschung wohl auf diese Systeme konzentrieren müssen,
wenn sie die digitale Evolution ernst nimmt.
Dabei erweist sich die Software jedoch als Hürde auf dem Weg zu
komplexer, digitaler Evolution. Ihre Programmiersprache kann als die unterste
Ebene des künstlichen Lebens verstanden werden. Sie ist damit vergleichbar
mit Molekülen, die selbst keiner Evolution unterworfen sind, aber
die Gegenstände des irdischen Lebens gemäß ebenfalls nicht
evolutionärer physikalischer Gesetze bilden. Die Lebewesen von Tierra
sind Maschinencodeprogramme. Ihr Code ist eine Abfolge von 0 und 1. Die
möglichen Kombinationen von 0 und 1 sind der Tierra-Evolution unterworfen,
nicht jedoch die 0 und die 1 selbst. Das Problem ist nun die Gestaltung
einer
geeigneten »genetischen Sprache«, also der Programmiersprache
für Künstliches Leben und seine Umwelt. Sie muß äußerst
flexibel sein in dem Sinne, daß sich mit ihr auch Lebewesen, Ereignisse
und Umweltbedingungen realisieren lassen, die vom Programmierer noch nicht
einmal zu erahnen sind, aber zugleich darf sie nicht umfangreich oder gar
klobig werden: Sie muß mit so wenigen und so kurzen Befehlen wie
nur möglich auskommen. Unglücklicherweise ließen sich diese
beiden Bedingungen noch nicht miteinander vereinbaren.
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