Lehre | Angebot SS 2004 |
DozentIn: | Dr. phil. habil. Karsten Weber Lehrstuhl Philosophische Grundlagen kulturwissenchaftlicher Analyse Europa Universität Viadrina (Frankfurt Oder) |
Zeit/Ort: | 15. Juni 2004 Dienstags 16-18 Uhr Forschungsgebäude 106; Multimediaraum 00-007 Georges-Köhler-Allee 101 |
Inhalt: | Im Jahr 2001 wurde der Arbeitskreis „Verantwortung“ der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) gegründet, um im Auftrag des Präsidiums der GI deren Ethischen Leitlinien zu überarbeiten. Diese wurden vor etwa 10 Jahren unter sicherlich anderen Bedingungen formuliert, als sie heute für das professionelle Handeln von Informatikerinnen und Informatikern auf der einen und für die gesellschaftliche Situation der Bundesrepublik Deutschland und der Welt auf der anderen Seite zu konstatieren sind. Denn seit Beginn der 90er Jahre hat sich sowohl die Profession als auch die Gesellschaft stark verändert. Informationstechnologie hat sich zu einer der entscheidenden Leittechnologien entwickelt; sie durchdringt inzwischen alle Lebensbereiche. Das bedeutet, dass das professionelle Handeln von Informatikerinnen und Informatikern Folgen nicht nur im professionellen Tätigkeitsumfeld zeitigt, sondern eben in allen Lebensbereichen. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologie wie das Internet haben diesen Einfluss verstärkt und auf ein globales Niveau gehoben. Gleichzeitig verändern sich die Gesellschaften der industrialisierten Staaten hin zu Wissens- oder Informationsgesellschaften. Der Zugriff auf Informationen ist für die Bürger solcher Gesellschaften in vielen, wenn nicht allen, Lebenslagen essentiell für die Verfolgung eigener Lebensentwürfe. Umgekehrt kann die allfällige Erhebung von persönlichen Daten vielfältig zum Schaden der Betroffenen beitragen. Informatikerinnen und Informatikern sind an diesen Umbrüchen, Veränderungen und Eingriffen beteiligt – auf jeden Fall stellen sie die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung. Sie tragen daher (Mit-)Verantwortung für die Folgen ihrer Tätigkeit. Um dieser Verantwortung gerecht werden zu können, hat die GI Ethische Leitlinien entwickelt, die verantwortungsvolles und moralisches Handeln in der Profession unterstützen sollen. Die Formulierung der Ethischen Leitlinien ist aus ethisch-systematischer Sicht mit Problemen verbunden. Diese entstehen, weil Informatikerinnen und Informatiker bspw. in einem Spannungsfeld verschiedener Loyalitäten arbeiten oder die Reichweite der eigenen Entscheidungsmöglichkeiten nicht der Reichweite der Folgen eigenen Handelns entspricht. Solche und ähnliche Probleme sollen im Vortrag dargestellt und anhand der einzelnen Artikel der Ethischen Leitlinien diskutiert werden. Es wird sich zeigen, dass aber nicht nur „externe“ Ursachen den „Wirkungsgrad“ der Leitlinien beeinträchtigen können, sondern das aus ethisch-systematischer Sicht die Art ihrer Formulierung bedenklich erscheint. Zum einen stellen die Artikel der Leitlinien ein Konglomerat sowohl aus konsequentialistisch als auch deontologisch geprägten moralischen Normen dar; zum anderen sind sie teilweise inhaltlich bestimmt, zum Teil aber auch prozedural ausgerichtet. Inhaltliche Bestimmtheit kann Probleme bei der Akzeptanz mit sich bringen, prozedurale Ausrichtung kann oft keine konkrete Handlungsanleitung geben. Trotz aller Schwierigkeiten, die mit der Formulierung der Ethischen Leitlinien in ihrer derzeitigen Fassung verbunden sind, stellen sie jedoch einen wichtigen Beitrag zur Herstellung eines Problembewusstseins bei Informatikerinnen und Informatiker dar. Es ist verfehlt, zu hoffen, dass Ethische Leitlinien oder Ethikcodizes moralisches Handeln gleichsam automatisch induzieren können. Ihr Wert liegt vielmehr darin, dass sie eine Dimension professionellen Handelns hervorheben, die nicht nur in der Informatik häufig unbeachtet bleibt. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen |