Ist ein uralter heiliger Ort, an dem offenbar schon in der Römerzeit (3?) heilige Stätten lagen. Ein heiliger Ort, wegen der unerhört schönen Lage am Westhang des Eisacktals, wegen der heilenden Wässer (eine alkalisch-salinische und eine alaunhältige Bitterwasserquelle mit hohem Gehalt an kohlensaurem Lithium), die schon in vorchristlicher Zeit zu einem Dreifrauenheiligtum zwecks Erbetung von Kindersegen geführt haben sollen, niemand weiß es genau. Sicher scheint, dass schon die Römer den Ort kannten und um der Wässer willen ehrten. Dreikirchen liegt am oberen Weg von Sterzing nach Bozen, der früher nicht durchs Tal ging. Auch später wurde der Weg von Klausen nach Bozen über Villanders und Barbian genommen, da so der Wegzoll in Waidbruck umgangen werden konnte. Die drei direkt nebeneinander liegenden Kirchen und darunter das 3-schiffige Gasthaus Bad Dreikirchen mit dem heute auch als Hotel genutzten Badhaus liegen ½ Stunde Fußweg oberhalb von Barbian. Sie sind gottlob immer noch nicht per Autostrasse allgemein erreichbar, die Jeeps des Hotels holen die Gäste in Barbian oder Waidbruck ab.
Wie Leo Andergassen (Kunst in Dreikirchen, Tappeiner Verlag 1999) schreibt, präsentieren sich die Heiligtümer wie drei in arger Ackerschräge weidende Kühe. Patron/inn/e/n sind die karolingische Königstochter Gertraud, der heilige Nikolaus als Heiliger für unwegsame Gelände und Magdalena, alle drei für Wege- und Reiseangelegenheiten verantwortliche Heilige. Die früheste Datierung von St. Gertraud ist 1237, das Trio wird etwa 100 Jahre später in der Gottesdienstordnung von Villanders erwähnt. Die drei in Pfeilform (zwei parallel, St. Gertrud, die größte, unten und St. Nikolaus oben, die dritte, St. Magdalena, in Frontstellung) nach NW ausgerichteten Kirchen fast identischer Größe tragen Holzdächer mit je einem gesichtsähnlichen Turmreiter, die dem Trio die Charakteristik geben. Bis auf den Chor von einfachem rechteckigem Grundriss, ist der Chor (und in St. Magdalena die ganze Decke) jeweils mit gekehltem Kreuzrippengewölbe versehen. Nur mehr in der Nikolauskirche ist die eingezogene flache Holzdecke erhalten. In St. Gertraud sind die Kreuzrippen besonders ausgeschmückt, bzw. ruhen auf schönen Figurenkonsolen, und den Schlussstein bildet die hl. Gertraud.
Die Kirchen beherbergen sehr schöne qualitätsvolle Fresken und Altäre und eine Figur, die heilige Gertraud.
St. Gertraud, romanisch, gotisch umgebaut, und für die Barockisierung der Fresken weitgehend entkleidet, hat dennoch im Chorraum an drei Wänden und zwei Bögen vor allem in der Front hervorragend erhaltene qualitätvolle gotische Fresken mit sehr lebendiger Kreuzigungsgruppe und Aposteln, weniger gut erhaltener Marienkrönung, jüngstem Gericht und durch einen Fensterausbruch teilweise zerstörter Pietà vom Ende des 14. Jhdts., die Johanna Ringler mit der Brixner Malschule in Verbindung bringt. Auf dem Hauptaltar steht eine große gotische Figur mit rotem Gewand und Spinnrad der heiligen Gertraud. Der diagonal links stehende frühbarocke Altar mit spätgotischen bemalten Holzfiguren ist ausnehmend schön, wegen der wunderbaren Madonnenstatue mit den schönen Gesichtern Mariens und Jesus’ und der anderen Heiligen, der Weinlaub gerankten Säulen und der golden ornamentierten Krone des Altars – alles bildet ein wunderschönes Ensemble. St. Gertraud hat ein großes offenes vergittertes Fenster in der Apsis, durch das sich die ganze Kirche von außen her betrachten lässt. Wie gut die Witterung allerdings Fresken, Statue und Altar tun mag, weiß ich nicht. An der Außenwand neben der angebauten Sakristei findet sich ein Fresko mit riesigem Christophorus mit grünem Palmwedel mit roten Beeren, in dessen – des Christopherus’ – roten Haaren sich das auf seiner Schulter reitende Christuskind festhält.
Der Flügelaltar von St. Nikolaus ist ein spätgotisches Werk des Tiroler Bildschnitzers Hans Klocker. Nikolaus, in prunkvollem Ornat, mit der Haube und 3 goldenen Äpfeln, groß und breit, nimmt fast den gesamten Altarraum ein, sodass nur mehr zwei dünne Heilige neben ihm Platz finden. Am besten gefällt mir die Pietà in der Predella, Maria zu groß gegenüber Christus, der realistisch tot und steif aber gleichzeitig doch ungestützt diagonal worauf? lehnt und dessen Hand unausgewogen groß in ihrer Hand liegt – trotz des traurigen Sujets eine zum Lächeln reizende Figurengruppe.
St. Magdalena, auch Anton Abbas, Katharina und schließlich Martin von Tour geweiht, vermutlich die späteste der drei, aber in ihr werden die Sonntagsmessen gehalten, an der Spitze des Trios, mit viereckig im Halbrund vorgebautem Chor wird die Einsiedlerkirche genannt, weil in ihr zwei Einsiedler begraben sind, die oberhalb Dreikirchen in den drei Einsiedlerhöhlen von Kreßbrunn siedelten. Auch im gotischen Flügelaltar von St. Magdalena mit dem Hauptbildwerk der Krönung Mariens gefallen mir die Gestalten der Patron/inn/e/n in der Predella am besten: die heiligen Katharina und Magdalena haben ebenso schöne Gesichter und Apfelbäckchen wie die Figuren im Altar in St. Gertraud.
Oberhalb der drei Kirchen sollen dazu demnächst archäologische Ausgrabungen von der Universität München vorgenommen werden, um das römische Heiligtum gegebenenfalls zu verifizieren, so der ausnehmend nette, freundliche, belesene und umsichtige Wirt.
Ein sehr schöner Weg geht über Villanders nach Klausen, ein weiterer über den Ritten, Klobenstein, Lengmoos (mit Deutschordenskirche und Kommende), Maria Saal nach Lengstein, Saubach (mit schönen gotischen Flügelaltären) und den Ganderbach aufsteigend nach Dreikirchen.
Der ganze Berg, eigentlich ein Hang zwischen zwei Bächen, also kleinen Tälern, genanntz Florberg, scheint eine Spielwiese von erstklassigen Architekten (gewesen) zu sein. Briol, 200 m über Dreikirchen ist ein 1929 von Johanna Ringler-Settari gebautes Gasthaus/Hotel im sehr schönen schlichten Bauhausstil, mit noch dramatischerem Ausblick in die Dolomiten als von meinem Hotel aus: man sieht von Sass Rigais über die Geislerspitzen die Sellagruppe mit der Mesules, aber nicht die Boèspitze, Langkofel, Plattkofel (den vor allem wunderschön mit seiner Namen gebenden 45%-Platte von Villanders), die veskovilischen Spitzen, auch Rosszähne, vor dem und der Wintergipfel der Marmolada, den Schlern, von etwas höher und/oder südlicher den Rosengarten, den Latemar bis Schwarz- und Weisshorn. Voraussetzung für diese Bebauung war, dass der Berg, von einem Bozner Kaufmann, Heinrich Settari, und seiner Frau Johanna Ringler, nach und nach erworben wurde, um ihren 15 Kindern hier eine Wiese, dort ein Wäldchen oder eine Lichtung zu schenken, worauf nach und nach deren Sommerhäuser entstanden. Geht man durch den Wald über die Wiesen und Lichtungen, so findet man immer wieder sehr schöne Häuser (der 15 Kinder) in ähnlichem traditionellem und gleichzeitig strengem modernistischen Tiroler Stil, weiß gekalkt mit Struktur gebenden Holzschindel-Dächern, gemauerten Schornsteinen und oft mehrstöckigen schmalen dunklen abgestützten Holzbalkonen. Und der tirolerisch-bayrische Architekt Louis Welzenbacher hat hier zwei sehr schöne Häuser für zwei der Schwestern eingefügt: das Settari-Haus und das Baldauf-Haus. Vor allem ersteres hat immer noch experimentellen Charakter: ein spiralförmiges kleines Haus mit einem runden Dach, das mit vielen verschiedenen Steigungen, Sattelflächen und Sprungschanzenähnlichen Kanten die komplizierte Haustopologie bedeckt und das in der Mitte in einen lustigen runden Kaminschornstein wie den Zipfel einer Zipfelmütze endet.
Der Unterschied zum Stil des durch den nächsten Bach getrennten Berges ist eklatant: hier nur mehr das langweilige uniforme Alpenlandhaus, das neben den alten, leider oft verfallenden Höfen ästhetisch nicht bestehen können.
Die dreiflügelige Taverne mit dem alten Badhaus – heute alle 4 im Gebrauch des Hotels Bad Dreikirchen, ist innen in einem schlichten tirolerisch angepassten bauhausähnlichen Stil ausgebaut, nur der 4. älteste Trakt wurde gerade erst umgebaut, aber ebenfalls in passend modern schlichtem Stil mit dem alten Holz. Mein Zimmer ist in dem alten jüngst renovierten Badhaustrakt: ein altes Steinhaus mit ausladenden durchgehendem Holzbalkon, innen überall alte Holztreppen und –verkleidungen, und alles neu mit Brandschutztüren gesichert. Im Zimmer ist der Schlaftrakt unverändert, aber der Waschtrakt hat einen offenen Holzkubus eingefügt, mit altem Holz ausgekleidet, mit rundem Villeroy&Boch-Waschbecken, in den eine supermoderne Dusche mit WC eingebaut ist, alles jeweils mit Brandschutzmaterial getrennt.
Das Gasthaus beherbergte früher illustre Gäste, u.a. Christina Morgenstern, der hier seine Frau kennen lernte, den Dirigenten Günter Ramin, oder den Archäologen Curtius. Und auch heute besuchen ausgesuchte und schräge Gäste, die nicht an Luxus, Bars oder Fernsehen (denn das alles gibt’s hier nicht, dafür eine schöne Bibliothek und ein Musikzimmer) interessiert sind, das Gasthaus Bad Dreikirchen. Die Küche ist eine Wiener-Tirolerische Mischung, sehr sehr gut, und natürlich gibt es gute Südtiroler und Trientiner Weine, auch meine lieben Lagrein Kretzer und Teroldego Rotaliano.
Gestern war das Wetter nicht schön, ich lief hinunter zur Wiese, wo die Autos parken und fuhr los. Auf dem Werg traf ich eine unserer Kellnerinnen, eine ungarische Rumänin aus Klausenburg, die zum Zahnarzt laufen wollte. Ich nahm sie mit nach Klausen, von wo ich Kloster Säben zum ersten mal seit meiner Jugend wieder bestieg, und den Turm, in dem wir eine Woche gewohnt hatten, sah. Es ist ein Frauenkloster mit nicht weniger als 4 Kirchen, von denen zwei offen waren, insbesondere die renovierte Johanneskapelle, die überall mit Renaissance-Fresken ausgemalt ist. Der/die Maler schwelgten offenbar in der neu entdeckten Perspektive, aber die Schachbrettböden sind leicht abschüssig zum Vordergrund hin. Eine drastische Kreuzigungsgruppe links, mit verdrehten Gliedern ähnlich Schongauers Isenheimer Darstellung, ein römischer Soldat versteckt sich zwischen Säulen, und im Vordergrund kann ein kleiner Engel seine männliche Blöße durch einen Schleier nicht mehr bedecken, also wir sind in der Renaissance, und das in einem Frauenkloster! Da es regnete, von Klausen nach Brixen gefahren, wo ich wieder den schönen Dom besichtigte, dessen in dunklem Marmor gehaltene strenge frühbarocke, aber im Deckenstuck rokokoisierte Prachtentfaltung mir wesentlich mehr gefällt als die Macht transportierende des Salzburger Doms und sogar auch besser als des Innsbrucker Doms mit seinem vielen Goldprunk. In Kindertage versetzt mich der Brixner Kreuzgang mit seiner berühmten biblia pauperum, eigentlich deren Mehrzahl, denn die Fresken liegen in zwei Schichten und man weiß nicht ob man die jüngere abnehmen soll zugunsten der schöneren älteren, die dort wo erstere verloren ist, herauskommt. Bayrische Bauern stehen davor und der Mann sagt vor einem durch Verlust unvollständigen Fresko- Stück: „ja, das sieht man, dass das renovierungsbedürftig ist“, die Frau klopft und posselt ausgiebig auf dem bemalten Teil und meint: „ist das jetzt Holz oder was ist des?“ Er: ja, muss wohl, oder hams das auf die Wand gmalt? Die Johanneskapelle war glücklicherweise geöffnet und zeigt ihre schönen Fresken, mit sehr realistischer Enthauptung des Johanaan durch Salome, sowie einem großen Fresko der die römischen Gelehrten bekehrenden Hl. Katharina und dem kleinen Örgelchen aus dem 15. Jhdt. Ich konnte mich nicht entschließen, ins Diözesanmuseum zu gehen, und den Riemenschneider anzusehen, sondern bin statt dessen ins Vilnösstal gefahren, bis hinauf zur letzten Alm, wo ein schmales Barockkirchlein mitten in der Wiese steht. Vom letzten Parkplatz geht man 5 Minuten, bis sich der Wald öffnet und den Blick auf die großartigen Geisslerspitzen frei gibt, ein überwältigender Anblick - da kann man die Familie Messmer schon verstehen.
Zweimal zu den Wasserfällen, einmal vom oberen zum unteren, zum zweiten die wegen der Schrofigkeit vorzuziehende Strecke vom unteren zum oberen gegangen, um meine Geländegängigkeit etwas zu erhöhen, was auch gelang: statt 4 nur mehr 2 ¾ Stunden.
Nach Thiersee und ein paar Tagen in Kolfuschg bei herrlichstem Wetter bin ich wieder eine Woche in Dreikirchen, im Oktober, kurz vor Semesterbeginn. Es liegt im Eisacktal am Westhang zwischen Brixen und Bozen, oberhalb von Barbian. Für diese Kulturlandschaft typisch sind kleinräumige Weinhänge und die jetzt mit hellgrünen Stachelfrüchten behängten Kastanien, die gerade aufplatzen und ihre Keschtn für das Törggelen (Torkeln, i.e. der Brauch, sich jungen Wein zusammen mit Esskastanien zu Gemüte zu führen) freigeben. Dreikirchen, Burgstall und Briol bilden mit nur extensiv genutzter Land(wirt)schaft eine traditionsreiche Sommerfrische mit Mischwäldern, Wiesenlichtungen und stilistisch schön eingepassten Häusern.
Leider ist es die erste Woche seit langem mit schlechtem, im besten Fall trockenen Wetter, aber man kann dennoch wandern, wenn man nasse Steine und Felsen meidet und sich mit der schlechten Sicht abfindet. Besonders im Wald ist es bei Regen schön, denn er schützt nicht nur, die Nässe bringt auch die Farben zum Leuchten: das Grün des Mooses wird giftig, die Buchenblätter liegen wie bunte Pallettentupfen auf dem Weg und die Lärchen und Föhrennadeln bedecken die schwarze Erde mit einem leuchtenden Dunkelrotbraun. Wieder besuche ich die alten 3 Kirchlein und erfreue mich an den fröhlichen Altarstatuen und den teilweise grotesken Fresken.
Barbian liegt am steilen Hang des Eisacktals, auf dem für die Sarntaler Alpen, Brixen und das Pustertal typischen Quarzphyllit, ein 500 Mio Jahre altes Gestein, oft mit Gneis und Glimmereinschlüssen. Die auf den Wegen und im Bach auffindbaren Steine sind rau und eckig und werden auch im Bach nicht rund geschliffen, aber sie haben alle Farben von rot über grün, gelb, grau und schwarz. Barbian hat wie Pisa und aus demselben Grund einen schiefen gotischen Kirchturm. Hier gibt es mediterrane Flora aus Eichen, Buchen und Mann-Eschen und Pistazien, aber auch viele Kiefern und Trocken- und Steppengräser. Oberhalb Barbian zwischen 1000 und 1500m gibt es eine felsige Steilstufe, worüber das Porphyr und Melaphyr der Bozner Pophyrplatte, ein ca 290 Mio Jahre altes vulkanisches Gestein beginnen. Oberhalb 2000m weiten sich die ausgedehnten, aber immer wieder durch Felsabbrüche und kleine Täler unterbrochenen Ebenen der Barbianer Almen aus, die auf Porphyrtuffe und eiszeitliche Moränenablagerungen zurückgehen.
An einem trockenen Tag fahre ich zur Gasserhütte, ca 1900m, gerade oberhalb der Baumgrenze und gehe weiter hinauf. Direkt anschließend erstreckt sich ein weites Torf- und Hochmoor und Heideland mit Gruppen von Latschenkiefern, das sich dem lehmhaltigen Moränenboden verdankt. Es ist jetzt wunderbar braunrot, gemischt aus dem gelben Steppengras, der rotlila Heide und den herbstlich dunkelroten Heidelbeersträuchern, wobei darunter immer noch grünes Gras durchschimmert. Weiter gehend komme ich in einen Taleinschnitt mit Zirben- und Föhrenwald. Die Tschurtschen liegen alle schon ausgepickt auf dem Boden, danach wieder die Moorheide. Die Barbianer und Villanderer Almen bilden das größte Moorgebiet Südtirols. Während die Landschaft wie eine lang gestreckte Hochebene aussieht, die im Westen mit weiteren Felsen bei ca 2500m endet, zeigt die Begehung, dass immer wieder schroffe Taleinschnitte mit teilweise gefährlichen Felsabbrüchen dazwischen liegen und die Hochebene nach Norden begrenzen. Da auch immer wieder Nebel aufsteigen, bin ich froh, noch vor ihrem Eintritt die Gasserhütte und damit mein Auto wieder zu erreichen.