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Im Bus zieht es immer wie Hechtsuppe, und es ist ja hier noch Winter und ganz schön kalt. Auch wenn ich die Schiebfenster zumache, öffnet sie der nächste Gast gleich wieder. Ich kann es wirklich kaum aushalten, bräuchte einen luftdichten Helm. Jede/r zweite schnieft und niest überdies, also habe ich genug Bakterienauswahl, damit der Zug auch schön wirkt. Nach 5 Tagen Busfahren und inzwischen einer ausgewachsenen Erkältung mit Fieber und Gliederschmerzen, die sich wie immer auf meine Bronchien und Nebenhöhlen schlägt, habe ich endgültig genug und miete mir ein Auto. Aber erst mal bin ich lahm gelegt. Das gibt mir Gelegenheit, das ganz Wochenende und leider auch noch die Woche drauf Fernzusehen und ab zu an diesem Text zu schreiben. Die Erkältung entwickelt sich zu einer ausgewachsenen Grippe und dass die Bakterien anders sind als unsere sehe ich an – dIE LeserIn möge mir die Unappetitlichkeit verzeihen - der hellorangen Farbe meines Nebenhöhlenschleims, während meine Hausproduktion grünlichgelb wäre. Kein Wunder, dass ich dagegen keine Abwehr habe. Wegen der Informationen über das brasilianische Gesundheitssystem möchte ich nicht zum Arzt und leider viel zu spät erfahre ich, dass man hier in jeder Apotheke frei an Antibiotika kommt. Hier gibt es auch andere schöne Krankheiten, wie Diphterie, Dengue-Virus und Typhus, von denen ich auch vor der Reise gelesen habe, aber sie sind nicht mein Problem. In den nördlicheren Gegenden kommen Leishmanien dazu, während die Malaria-Mücken in Manaus und das Gelbfieber in den nord-östlichen Provinzen beheimatet sind, die wir nicht besuchen werden.

Meine zweite Beschäftigung neben Busfahren in der ersten Woche und darüber hinaus ist die Organisation der Reise mit Vio und Rudi ab dem 5. Oktober. Das erweist sich als fast tagfüllend, obgleich ich mich eines Reisebüros bediene. Doch auch dieses sucht die Flüge und Hotels per Internet, was für sich schon Stunden über Stunden braucht. Es muss jeweils geklärt werden, wie ich bezahlen kann, denn meine internationale Master Card ist für die Internet-Angebote nicht geeignet, mal bräuchte ich eine American Express, mal eine Visa Card, nur bei TAM kann ich meine Karte verwenden, aber die haben nicht eben die günstigsten Flüge: Dazu werden die Preise jeden Tag teurer. Die Verfahren sind mehrstufig: erst suchen, dann reservieren, dann zahlen und jeweils braucht man Stunden. Ich finde das, vor allem wegen der Entscheidungen nicht nur für mich, die mit nicht so wenig Geld zu tun haben, so anstrengend, dass ich jeweils nur 2 Stunden im Reisebüro verbringen kann, dann pausieren muss, was wegen der Kartenprobleme ohnedies nötig ist, denn ich kann das Geld nur in Einheiten von 1000.- Real täglich ziehen, d.h. ich brauche ohnedies 4-5 Tage. Dabei erweist sich, dass die von D aus mit expedia oder opodo gebuchten Flüge etwa gleich viel kosten wie hier, während das gleiche Hotel mit meiner deutschen emailadresse gleichzeitig angesprochen für die gleiche Buchung etwa den gleichen Betrag in US$ wie vom Reisbüro hier in brasilianischen Real verlangt, das ist fast nur die Hälfte. Allerdings wird es teuer bezahlt durch die Ineffektivität des Reisebüros, dort kann man gut und gern 2-3 Stunden täglich verbringen (immer wird gesagt warten Sie 5 Minuten) um zu warten, dass irgendwelche Internetbestätigungen kommen, bis man schließlich auf den nächsten Tag vertröstet wird, wo es sicher fertig ist, und wo dann das Spiel von vorne losgeht, weil der freundliche Angestellte, der seine notwendigen Kompetenzen in der Compterbewältigung sieht, nichts gemacht hat, weil er die Zeiten verwechselt hat und man alles von vorn machen muss, eil etwas schon ausgebucht ist, was ich aber schon bezahlt habe, oder weil die Hotels nicht geantwortet haben – all dies habe ich vielfach durchgemacht. Bisher war ich insgesamt 11 mal dort und habe im Schnitt je 2 Stunden dort verbracht (was wegen der Fehler auf der anderen Seite auch wieder nötig ist). Ich sehe jetzt wirklich den Wert von Pauschalreisen, so unangenehm mir diese Erkenntnis ist. Am Ende aber erfahre ich, dass es einen Brasil-Pass gibt, mit einem Pauschalpreis für 1 oder für 2 Wochen, den ich das nächste mal nehmen sollte, darin sind auch die Transporte zu und von den Hotels enthalten, die ja nicht unbeträchtlich ins Geld gehen, da die Städte groß und die Wege lang sind.

Auch wenn ich im Fernsehprogramm nichts verstehe, gibt’s dabei doch viel zu beobachten. Die drei bis vier Programme, eins aus Sao Paolo, eins aus Florianopolis, eins aus Rio, sind für mich kaum unterscheidbar. Sie bestehen aus drei Sorten von Programmen: Wahlwerbung, religiöse Programme, die sich aber für mich ununterscheidbar mit der Wahlwerbung vermischen und Sport. Ganz selten gibt es Spielfilme, meist brasilianischer Provenienz. Matrix habe ich nochmals gesehen, wobei mir wieder der Kultstatus einfach ein Rätsel ist, denn es wir praktisch nur geballert, am Ende wurde es mir einfach zu viel und ich habe abgedreht. Aber ich weiss noch wie v.a. unsere kognitionswissenschaftlichern KollegInnen in Verzückung gerieten wegen der Computerfiguren und Verwandlungen und den Ortszeit-Beamungen. Die religiösen Sendungen bestehen einerseits aus Predigern vor riesigen Audienzen wie in den USA, wobei manche Wahlkandidaten genau denselben Tonfall anschlagen – ich nehme an, das sind dann christliche Parteien. Die zweite Sorte ist eine Mischung aus Interviews mit meistens sehr traurigen, weinenden Menschen, keinesfalls wie Betschwestern oder –brüder aussehend, die wenn sie den Namen Jesus aussprechen, schon zu weinen beginnen, vermischt mit Samba tanzenden mehr aus- als angezogenen Schönen, die für Jesus tanzen und singen. Erotisch aufreizendes Tanzen in knappsten BHs und Shorts scheint hier kein Gegensatz zu Religiosität zu sein, offenbar ist der brasilianische Katholizismus durch kein protestantisches Vergnügungsverbot angekränkelt.

In Brasilien gibt es am 1. Oktober Wahlen. Die 2-4 Fernsehprogramme, die ich jeweils empfangen kann, zeigen nahezu ununterbrochen Wahlwerbung. Meist wirbt hier die Wahlliste 15, die auch die Provinzregierung Santa Catarina, in der Florianopolis liegt, stellt, durch distinguierte Herren, die die technische Zukunft preisen, oder Kinder beim Tanz und gefühlvolle Familienszenen zeigen. Es gibt auch Herren, die sich mächtig aufregen, woraus ich auf die Opposition schließe. Alle lassen für sich komponieren, singen und inszenieren. Die Namen sind vorwiegend portugiesisch-spanisch, aber eine nicht unbeträchtliche Zahl von Deutschen, deren Gesichter auch so aussehen – sie scheinen sich nicht zu vermischen. Die Listen 12 und 13 schienen mir links, weil die Herren so streng und gewichtig sprechen, und es gibt auch 2 Parteien, die den roten Stern in ihrem Emblem tragen: hier sieht man auch schwarze Kandidaten. Eben kam eine Partei, die sich gegen die Korruption wendet und an die 10 Politiker mit Bild zeigte, gegen die Gerichtsverfahren wegen Korruption laufen oder gelaufen sind. Damit habe ich selbst schon Bekanntschaft gemacht, denn die Fluggesellschaft Varig, von der ich den Flug Sao Paolo nach Florianopolis gebucht hatte, hat Pleite gemacht, und das Geld war weg. Inzwischen gibt es sie aber wieder, und die Organisatorin sagte mir, das würde sie in schöner Regelmäßigkeit tun, und meinte dazu: nun sehen Sie was wir hier zu leiden haben.

Ein ständiges und gewichtiges Thema scheinen Universitäten und Bildung zu sein. Viele Politiker schmücken sich mit der Aussage, dass soundsoviele Professoren ihre Politik beraten. Ausschließlich! Frauen – bisher jedenfalls - stellen sich als Professorinnen vor und bisher war das auch der Beruf von allen bis auf einer Frau und sie preisen sich und ihre Partei als Schulen, Forschung und Bildung fördernd an. In der Tat gibt es, anders als bei uns, in allen Fächern viele Professorinnen, während die Busfahrer und Schaffner ausschließlich und die Politiker fast ausschließlich männlich sind. Es ist also schwierig, den Machismo mit unserem Patriarchat zu vergleichen. Vielleicht ist die Arbeitsteilung so wie bei uns im Mittelalter: Sport und (politische) Kämpfe, sowie die Öffentlichkeit sind männlich, Bildung und Wissen weiblich. Die Frauen sind jedenfalls viel selbstbewusster als in D, sie arbeiten und sie können das auch, da die Ganztagsschulen die Kinder von 8 Uhr bis 18 oder gar 20 Uhr, auch mit Lernbegleitung, Hausaufgaben, Klavierstunden und Tanz, Sport und Spiel versorgen. – all das unter der Einschränkung, dass der Süden offenbar die Butterseite Brasiliens ist. Die Straßenkinder von Rio oder Sao Paolo müssen wohl eine ganz andere Sprache sprechen, hier kann ich mir bisher keinen Ort vorstellen, wo es solche geben könnte (später höre ich, dass es an den Berghängen auch in Flo Favelas gibt und auch Strassenkinder, und dass für sie einige Sozialisierungs- und Bildungsporgramme beispielsweise an den Uni laufen. Auch im Stadtpark im Stadtzentrum unterhalb des Doms von Flo ist es auch tagsüber so unangenehm - hartes Betteln von offensichtlich Drogensüchtigen, dass wir zu dritt nicht durchgehen wollten, denn wir haben ein Plakat auf der Stirn: Touristen). Im Gegenteil, an den Stränden steigen immer viele sportliche junge Leute mit Surfbrettern und anderen teuren Sportgeräten und –ausstattungen aus, und abends leiden die vielen Restaurants in dieser Strasse nicht unter – fast ausschließlich jugendlichem Besuchermangel.

Auf der Strasse fällt die Wahlwerbung nur durch junge Leute auf, die an belebten Plätzen neben Wahlplakaten große einfarbige quadratische Fahnen mit den Listennummern schwenken, z.B. ist die 15 schwarz auf rotem Grund oder rot auf weißem, die 22 ist blau auf gelb. Da sieht man z.B. eine schöne junge blonde Frau Angela neben einer Telefonnummer. Bei uns würde man das als callgirl – ad interpretieren, aber mitnichten hier! Es ist eine Kandidatin einer kleineren Partei, und die 5-stellige Nummer ist gar keine Telefonnummer, sondern eine Listennummer fürs Parlament. Später sehe ich auch einen Adeus, einen Andrino und eine Ada in ähnlicher Funktion. Es gibt überhaupt gar keine öffentliche Darstellung der wie weit auch immer ausgezogenen Frau oder des Mannes, weder auf Plakaten, noch auf Illustrierten, noch im Fernsehen. Brasilien scheint eine Gesetzgebung zu haben, die Werbung überhaupt sehr eingeschränkt hat, das fällt wirklich angenehm auf. Wie sehr müssen die Brasilianer sich wohl über unsere mediale öffentliche Darstellung wundern. Im Gegensatz dazu ist die lebendige Inszenierung von Erotik durchaus nicht unbeträchtlich. Die einzigen nennenswerten Werbeanzeigen sind die Standposten von McDonald und Taco Hut. Die mangelnde Werbung führt auch dazu, dass hier offenbar kein Markenfetischismus herrscht. Die in nordwestlichen Ländern allgegenwärtigen Nike, Adidas, Benetton, und auch die teuren Marken, wie Versace, Armani, MGM gibt es einfach nicht, noch nicht mal am Flughafen, und noch nicht mal die Parfums dort. Auch scheint der Markt nicht mit chinesischen Billigwaren überschwemmt zu sein wie bei uns. Brasilien produziert selbst und scheint konkurrenzfähig zu sein. Es gibt ähnlich preiswerte und auch ebenso teure brasilianische Produkte in unzähligen kleinen und großen Geschäften mit unzähligen Waren, spezialisiert und allgemein. Die brasilianische Wirtschaft floriert und scheint auch den Anschluss an die globale IT gefunden zu haben oder sogar eine führende Rolle zu spielen. Jedes 5. Geschäft ist ein Internetcafe, offenbar hat man den Anschluss weniger häufig zu hause.

Die Menschen hier sind vorwiegend weiß, durchaus viele blonde Frauen, aber häufiger würde man sie dem südeuropäischen Typ zuordnen. Sie sind durchweg schlank und sportlich, viele Männer auffallend fesch, ich würde sagen jeder 5.-10. könnte einer der gut aussehenden aktuellen Schauspieler sein. Auch die Frauen sehen gut aus, viel Wert wird vor allem auf die schönen langen glatten oder oft auch lockigen Haare gelegt, während Schminke eher fehlt (sicher auch ein Effekt des Werbeverbots). Entsprechend findet man in den Supermärkten immer ein ganzes großes Regal mit Haarbearbeitungsmitteln und kaum oder gar keine Kosmetik.