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Im französisch sprechenden Teilstaat von Kanada, Quebèc, gelegen, ist Montrèal mit 2,6 Mio Einwohnern die zweitgrößte französisch sprechende Stadt. Die Franzosen hören das nicht gerne, da sie zu den Quebecois eine etwas überhebliche Haltung einnehmen: jene dürfen – eher unberechtigt – an der hohen französischen Kultur teilhaben – und sind in Quebèc entsprechend unbeliebt. Nichtsdestoweniger spürt man den französischen Kultureinfluss vor allem in Montrèal sehr stark, mit höchst vorteilhaften (und vielleicht auch ein paar unvorteilhaften) Wirkungen. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass das Verdienst der Quebecois, den Yankees in Nordamerika zu widerstehen, für die Weltkultur (vielleicht nicht unbedingt die Weltpolitik – hier spricht die US-Botschaft in Kanadas Hauptstadt Ottawa im Konzert der imperialen Machtarchitektur auf dem Hügel vor dem Fluss Ribeaux eine klare Sprache) von unschätzbarer Bedeutung ist. Nur hier und auf Cuba haben die Yankees sich nicht durchsetzen können. Natürlich kostet das viel – Anstrengungen, Energie und Geld – aber es lohnt sich wirklich, auch wenn die englisch sprechenden Kanadier das gar nicht so sehen.

In Montrèal ist alles friedlich, jeder spricht ohne Weiteres englisch, wenn er englisch angesprochen wird, anders als in Ottawa. Aber das Englische ist strikt aus dem öffentlichen Raum verbannt. Alle Verordnungen, Aufschriften, Werbung, Straßen, Hinweise in der Metrò u.s.w., die offizielle und die juristische und Verwaltungs- Sprache sind französisch. Das hat es den englisch sprechenden Montrèalern offenbar auch im englischen Westteil der Stadt (Westmount) [im Gegensatz zum östlichen (Outremont = über dem Berg, so wie Outremeuse, jenseits der Meuse in Belgien), bezogen auf den Mont Royal inmitten der Stadt, von dem sie ihren Namen hat], so ungemütlich gemacht, dass die meisten ausgezogen sind und man nun auch in Westmount vorwiegend französisch hört. Wie gesagt, in Montrèal scheint Friede zu herrschen, zwischen französisch und englisch, den Ethnien und Rassen. Das drückt sich auch darin aus, dass offensichtlich afrikanisch oder asiatisch-stämmige Kanadier gut angezogen und schick sind und nicht weniger wohlhabend erscheinen als europäischstämmige.

Ich habe (für meinen Urlaub, später zur Konferenz in einem degoutablen Hotel Travelodge nahe dem Kongresszentrum) im quartier Latin gewohnt in einer Wohnung am Parc Lafontaine, die zur Vermietung farbig (rot, blau, gelb und orange) umgestaltet wurde. Rudi sagte, es sieht aus wie ein Puff in Shanghai – er war aber noch nie in Shanghai. Er selbst wohnte in der schönsten Strasse am Ende der Rue Charrier im quartier Latin in einem wunderschönen typischen steinernen Haus mit Holzaufbautürmchen vor dem Park Henri IV. Der Parc Lafontaine enthält ein Theatre du Verdure, was kein Gemüsetheater ist sondern ein Theater im Grünen, in dem täglich Filme gezeigt, Ballett- und Theaterabende veranstaltet werden, meistens umsonst und zur Lebendigkeit dieser Stadt beitragend.

Das Metronetz ist klein aber sehr gut und schließt an eine Unzahl von Autobuslinien an, die häufig fahren, sodass die Stadt sehr gut erschlossen ist. Es ist ausgesprochen (ich möchte fast sagen unamerikanisch) sauber und sehr sicher (man sagt, die zweitsicherste Stadt der Welt, ich vermute mal die sicherste ist Wien, und ich habe zu jeder! Zeit jeden Ort und jeden Park ohne ängstliche Gefühle betreten können), was zeigt, dass die Stadtverwaltung sehr gut funktioniert. Und das, obgleich meine Vermieter gesagt haben, dass die Stadt tief korrumpiert und durchdrungen ist von der italienischen Mafia und – Ihr werdet es nicht glauben – den Hells Angels. Letztere fuhren sogar in einer riesigen Formation im Zug zur Feier des Geburtstags der Queen mit. Und was die Mafia betrifft, so war dies meine erste Begegnung in Montrèal: beim Besuch der (Haupt-) Kirche Notre Dame kam ich zu einer offensichtlichen Mafiahochzeit: ein riesiges Aufgebot mit 5 lilaseidenen Paaren vor der sehr jungen Braut, die in unglaublich aufwändigem Kleid und Schleiern, was sie meterlang hinter sich herschleppte wurde, von ihren Eltern mühsam im abführenden Gangstergriff gehalten, strebte sie mit frech erhobenem Näschen nach vorne. Bräutigam war keiner zu sehen oder ich hatte nicht genug Geduld, das ganze Aufgebot abzuwarten. Vor den sehr breiten Kirchenstufen 3 einen ganzen Block ausfüllende je 18 Meter lange Cadillacs (noch nie in meinem Leben habe ich so lange Autos gesehen) mit den vielen italienisch sprechenden Bewachern davor.

Meine Vermieter hatten unangenehme Erfahrungen mit der Mafia, sie besitzt offenbar Gastronomie und Häuser und eine Geschäftskette mit dem Namen „terra nostra“. Einem Freund von ihnen machte die cosa nostra sogar ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte: 80.000 $ und eine Pistole auf der Stirn für ein Haus, das über 1 Mio $ wert war und er einfach so in der Zeitung annonciert hatte. Ansonsten merkt man aber, anders im wallonischen Belgien, nichts von der Mafia und den Hells Angels und wie gesagt, sie scheinen zusammen mit den von ihnen beherrschten Politikern sehr gut zu verwalten. Überhaupt: der Vergleich mit der Wallonie drängt sich überall auf. Im Kampf gegen das Englische/Flämische und in der teilweise sehr schönen Industrie- und Wohnhaus-Architektur, die hier absurderweise als viktorianisch bezeichnet wird (wobei es auch viktorianische Häuser gibt, aber nicht alle alten Häuser sind so).

Nochmals Notre Dame: sie ist von außen eine verkleinerte Pariser neugotische Notre Dame, von innen unüberbietbar kitschig, ein Eindruck der m.E. durch die einfarbig hellblau/türkis gefärbten Fenster und die im Stil der Houses of Parliament ausgemalten Wände und Säulen entsteht (obgleich mir die dortigen kleinornamentigen Ölmalereien von Mr. Pugin sehr gut gefallen: er hat ja mit seinen neogotischen Stilelementen den Übergang vom Klassizismus zum Jugendstil eingeleitet (pfui ba über den belehrenden Ton, aber das musste ich loswerden)).

Überhaupt prägen die Kirchen ganz wesentlich das Stadtbild. Die Besiedelung der Stadt geschah um die kleinen Kirchen herum. Sie sind meistens katholisch und neugotisch, entweder weiß oder silbern angestrichen. Letzteres gibt einen höchst ungewöhnlichen metallischen Effekt. (Ich habe nicht herausgefunden, warum das gemacht wird.) Es sind deren unzählige, es gibt keinen Punkt in Montrèal, von wo man nicht mindestens eine, meistens zwei oder mehrere sieht und sie scheinen auch durchaus lebendig zu sein. Am meisten angetan hat es mir das quartier Latin mit seinen Stein- und Ziegelhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Das ist alles sehr hübsch und oft ornamentiert, oder mit Holztürmchen und -Gauben verziert. Der Stil ist – wieder mal! – belgisch oder wie an der französischen Nordatlantikküste (Le Treport z.B.). Er unterscheidet sich vom ebenfalls sehr schönen englischen Stil in Westmount mit normannischen Nachbildungen oder im englischen Küstenvillenstil. Ganz oben in Westmount an den besten Aussichtsplätzen wohnt – architektonisch gut erkennbar - die Mafia und die Hells Angels. Alle Straßennamen sind von katholischen Heiligen, ich wusste gar ncith dass es so viele Heilige gibt, dass sie für die Namen einer riesigen Stadt ausreichen. Ausnahme Rue Berri, eine Haupt-Nordsüdstrasse, die auch der frequentiertesten Metrostation Berri-UQAM (ausgesprochen Beeri-ükam) den halben Namen gibt, der andere halbe ist die Université de Quebec at Montrèal, nach Université de Montrèal und der englischen Mc Gill-Universität die drittgrößte Universität dort.

Mehrmals war ich am Kanal LaChine, ein im 19. Jhd gebauter Kanal, als der St. Laurent noch zu flach und zu reißend war, der, deshalb der Name, bis nach China gehen sollte. Er ist für die rasche Entwicklung Montrèals im 19. Jhd. verantwortlich, denn alle Handelswege durch den amerikanischen Kontinent führten damals (ohne den Panamakanal) über den St. Laurent. Ihm entlang entstand sehr viel Industrie, auch Schwerindustrie und entsprechende (schöne! wie in Nord-England oder Belgien) Fabrikgebäude. Er wurde leider Anfang letzten Jahrhunderts zugeschüttet, nach ihm der Abriss der meisten Industriebauten. Heute baggert man ihn wieder aus, und baut die restlichen Fabriken, wie in England (Liverpool) zu teuren Wohnhäusern um. Am Anfang des Kanals, vor dem vieux port, stehen Getreidespeicher von unfassbarer Größe, die nicht mehr in Funktion sind, und die Rudi gezeichnet hat. Der Streit geht darum, ob sie abgerissen werden sollen, oder einer neuen Funktion zugeführt werden – money talks. Den Kanal entlang geht ein sehr schöner Radweg, den ich zweimal gefahren bin, der an einem Yachthafen des St.Laurent endet. Man sieht mehrere sehr schöne Eisenbrücken, übrigens wunderbare auch am Horizont vor Quebec.

Sehenswert ist weiter der botanische Garten, mit einem chinesischen und einem wunderbaren japanischen Garten, aber auch sonst allen möglichen Abteilungen: man kann gut und gerne einen Tag dort verbringen. Die Schmetterlingssammlung allerdings ist gegen die von lebendigen Schmetterlingen im Wiener Burggarten, schwach.

Die Politik des Landes Quebec wirkt sehr sozialdemokratisch: alles und jedes wird besteuert (mit zwei Steuern: der kanadischen und der Quebecer) und alles und jedes wird auch wieder unterstützt, und immer ist ein Politiker dazwischen. Entsprechend blüht wohl auch die Korruption. Trotzdem habe ich kaum arme Leute gesehen, ganz im Gegensatz zu Vancouver, und auch keine Viertel (und ich habe mir wirklich alle Viertel angeschaut, bis quartier Italienne-das ärmste), die unbetretbar sind, wie in Vancouver, wo ich am helllichten Tag mitten in der Stadt den Rückzug angetreten habe, weil es mir zu brenzlig wurde. Die Stadt ist sehr lebendig, es ist immer etwas los, viele junge Leute, auch abends gibt es Park- und Straßenfeste und ganz Montrèal scheint auf den Beinen zu sein. Auch die vielen Restaurants und Cafés sind stets gut besucht, und das obwohl sie abartig teuer sind. Die meisten Restaurants haben keine Alkohollizenz und man kann dann seine Flasche Wein selbst mitbringen und er wird selbstverständlich geöffnet und gekühlt. Natürlich ist er immer importiert und weder Franzosen noch Italiener schicken den Kanadiern gute Weine. Für den Weinbau ist der Winter hier viel zu kalt, es geht bis – 40 Grad und ich habe Fotos vom Zustand der Stadt im Winter gesehen, die es bei uns nicht gibt. Montrèal war wohl auch die erste Stadt, die ein unterirdisches Stadtzentrum errichtet hat. Auf vielen Ebenen und in einem riesigen Areal gibt es eine Einkaufshölle, die von einem zum nächsten Geschäft oder zur Metro führt, ohne dass man an die Oberfläche muss. So kann man im Winter von der heimischen Garage in die öffentliche fahren, von dort in die Hölle und wieder zurück ohne je in die freie Luft zu müssen.

Ich bin zweimal mit der Bahn weggefahren, nach Quebec und nach Ottawa. Die Bahnen und die Bahnhöfe simulieren Flugzeuge und – sehr unnötigerweise – Flughäfen, bis hin dazu dass der Hauptbahnhof von Ottawa in der Pampa liegt und nur mit Taxi und sehr seltenen Bussen erreichbar ist. Drinnen wird wie überall in Amerika im Sommer auf 16-17 Grad C gekühlt, im Winter auf 24 Grad geheizt, damit die Wirtschaft blüht: die Ärzte was zu tun haben und Energie verbraucht wird. Sehr viel Personal auch macht die Züge maßlos teuer, schafft aber auch Arbeitsplätze.

Die Hauptstadt von Quebec ist Quebec City, ein sehr hübsches kanadisches Salzburg, wunderschön hoch über dem Fleuve St. Laurent gelegen, stilmäßig englischer als Montrèal, bis auf das riesige und den Blick beherrschende Hotel Frontenac, das mit vielen grünen Türmchen und grünem Dach französischen Baustil des 19. Jhdts nachmacht. Es gibt sogar eine alte Stadtmauer dort und einen wunderschönen über den Felsen schwebenden hölzernen Rundgang, der Stadt und den riesigen St. Laurent zu bewundern erlaubt. Aber leider halt eine Fremdenverkehrsstadt: die US-Amerikaner, die es sich nicht leisten können, nach Europa zu fahren, schauen sich Quebec an, um zu sehen wie es in Europa ist. Natürlich ist das für uns auch Amerika, aber es ist doch eine sehr angenehme andere Kultur mit Sinn für Geschichte, Ästhetik und gutes Essen. Mit dem 17. Jhdt. hört allerdings der Sinn für Geschichte auf: In der Metrostation Place des Armes sind Vitrinen, die die Jahrhunderte bis heute zeigen, mit Männern in den jeweiligen Trachten und darunter Werkzeugen: unter der Figur im Steinzeitlook für avant 1600 liegt ein Faustkeil.

Ottawa war interessant und z.T. sehr lebendig, aber nicht schön. Und hier tobt der Kulturkampf, im Gegensatz zu Montreal: wer französisch spricht, weigert sich zähnefletschend, auch nur ein englisches Wort auszusprechen, egal ob Ausländer sie verstehen oder nicht. Alle englisch sprechenden müssen auch das Französische beherrschen, was sie mit manchmal unverständlichem Akzent auch tun, und bemühen sich, es den Franzosen recht zu machen – im Bewusstsein ihrer Überlegenheit. Kleiner französischer Stachel vor der Brücke nach Hull, dem Quebecer Teil von Ottawa, in dem das Musee des Civilisations liegt, das Schild: 1km Civilisation. In Ottawa und in Hull sind je ein riesiges Museum von Architektengiganten der 80-er Jahre, die sich im Wesentlichen nur selbst ausstellen, d.h. in denen nichts gezeigt wird. Stimmt nicht ganz: in der „Civilisation“ ist eine (aber nur einen kleinen Teil des Museums belegende) sehr schöne Sammlung von indianischen Totempfählen und kulturellen Gegenständen und nachgebauten Räumen der Inuit und der kanadischen Eskimos – und wie im Museum von Vancouver stellen diese Ureinwohner den Hauptbesucheranteil. Es würde kaum verwundern, würde einer dieser Besucher die Museumswärter fragen, ob er hier nicht ein kleines rituelles Opfer bringen dürfte – gäbe es so etwas in seiner Religion. Denn die Indianerkunst aus Holz ist sehr vergänglich (kein Stück älter als 200 Jahre, meist sehr viel jünger) und erhält sich wohl nur in den Museen.

Indianisches habe ich Montreal nur an der kelchartigen Form der Hüte gesehen, die mir sehr gut gefallen haben. Trotz sehr viel Wind tragen die Frauen sehr häufig Hüte – wie in Wien, und ich hätte mir gerne einen solchen gekauft, habe aber keines dieser Stücke irgendwo zum Verkauf gesehen.