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Südafrika, nicht mehr als 3, 5 Tage

Mit Air Namibia möchte ich von Frankfurt nach Windhoek und mit einem Anschlussflug nach Kapstadt fliegen. Schon 10 Minuten vor der Abflugzeit sind die Türen geschlossen und wir rollen aufs Rollfeld, aber…

ein Flugriese nach dem anderen startet an uns vorbei. Nach einer halben Stunde bekommen wir die Nachricht, dass es ein technisches Problem gibt und wir zurück an die Box müssen, bis Lufthansa-Ingenieure das Problem lokalisiert haben. Meine Nachbarin sagt, hoffentlich müssen wir nicht wieder hinaus und die Nacht über in FRA bleiben. Das glaube ich nicht, es wird sich schon als harmloser Fehler der Anzeigentafel erweisen. Eine weitere Stunde vergeht mit offener Tür, durch die nicht nur Schneetreiben ins Flugzeug weht sondern auch 3-4 Flugzeugingenieure, die hinaus und herein schneien: ein weiterer Probestart des rechten Flügelmotors zeigt, er ist hinüber und wir können nicht fliegen. Der Pilot informiert uns mit einer guten Nachricht: wir können im 5 Sterne Steigenberger Airport Hotel übernachten, und einer schlechten, der Flug ist gestrichen, aber das Gepäck bleibt im Flugzeug. Eine weitere Stunde bis 500 Flugzeuginsassen in 4 Busse und im Hotel eingecheckt sind, und dann um 1.30 ein moderat leckerer Frankfurter Würstchen- Imbiss im Steigenberger, wo wir auf weitere Informationen hoffen. Diese aber verschieben sich auf den nächsten Morgen und dann von mal zu mal,…

Langsam lernt man den Flugzeuginhalt kennen: ein Gruppe älterer Männer, die vorher mit Gewehren eingecheckt haben, viele junge Pärchen, viele einzelne dunkle afrikanische Männer mit ihren schönen Haaren, meine Nachbarin aus Norddeutschland, der das Hotelzimmer viel zu schlecht ist, der Teppichboden beschädigt, die Möbel für den Müll, während die junge Engländerin daneben das neu gemachte Bad lobt - es ist mit Carrara Marmor ausgekleidet - und dann die weißen Afrikaner mit Kolonialgeschichte: eine sehr nette Frau aus Windhoek war bei ihren Verwandten in Mailand. Sie war mit ihren Eltern und ihrem Mann aus Angola, wo ihr Vater 3 Farmen (Kaffe und Vieh) besaß, während des Bürgerkriegs nach Namibia gekommen. Sie arbeiten nun in Windhoek als Angestellte. Ihr Vater war italienisch- und ihre Mutter portugiesisch stämmig. Sie meint, das Leben in Afrika sei immer bewegt und veränderlich, man könne keine langfristige Sicherheit erwarten, aber das Land ist so schön, dass sie nicht mit den geregelten Bahnen in Europa tauschen würde.

Zweistundenweise, später stundenweise werden wir vertröstet, denn Air Namibia will aus Kostengründen kein Flugzeug für uns chartern, aber der Schaden scheint zu schwer für rasche Reparatur, also warten wir auf entweder die Reparatur oder ein freies Air Namibia Flugzeug aus Windhoek, wer weiß. Die Kosten allein für die Übernachtung und Verpflegung von uns allen muss sich bereits auf mehr als 200.000.-€ belaufen.

Sonntag Nachmittag im Steigenberger Hotel: Ich habe zwar genug zu tun, bereite meine Vorträge vor, was ich ohnedies machen muss, sodass ich nicht den Eindruck von absolutem Zeitverlust habe, außerdem habe ich den Fernseher und das Buch Middlesex von Jeffrey Eugenides, aber trotz allem - das eingesperrt Sein in dem großen Hotel bringt einen allmählich in einen somnambulen Zustand. Ich kann auch C., der als Vorstandsmitglied einer großen Firma jede Woche in solchen Hotels an anderen Kontinenten verbringt, verstehen, der sagt, er können diese großen Hotels nicht mehr sehen. Sie scheinen nur mit der Masse von Kundschaft wirtschaftlich zu führen zu sein und deshalb ist auch das luxuriöse Interieur stark beansprucht, die Restaurants haben den Charme von Internats-Speisesälen, das Essen für uns zur Selbstbedienung ist gut, aber nicht sehr gut.

Zum Abendessen treffe ich wieder die bekannten Gesichter, mit ein paar neuen, die sich schon ohne mich zusammengerottet haben. Ein recht grotesker 1. Klasse-Tisch besteht aus dem deutschen Botschafter in Namibia, einem Mann vom Typ Rezzo Schlauch, der eine Gruppe mindestens 75-jähriger, offenbar gut mit Geld gestopfter deutscher Männer, die in Namibia investieren wollen, unterhalten und unter diesen widrigen Umständen bei Laune halten muss. Einerseits bildet sich allmählich eine Air Namibia Flug-Gemeinschaft im Sinne von Tönnies, anderseits bilden und segregieren sich Gruppen: wir sind 5 ältere Frauen und ein schüchterner junger Mann aus Bayern, und wir werden unterhalten von einem kleinen zarten klugen und selbstbewussten Angolaner, der uns als seine 5 Frauen bezeichnet, und jede höchst charmant anspricht und lobt. Er arbeitet bei der UNO, hat die ganze Welt gesehen, hat 8 Jahre Ausbildung in Italien, dort seine Frau und 2 Kinder, sie wieder durch Tod verloren, und 7 Jahre Aufenthalt in Australien. Insbesondere kennt er auch alle afrikanischen Länder und erzählt von ihnen und den verschiedenen Stämmen sehr interessant – das Geschlecht ist immer wichtig und die Religion, der Norden patriarchalisch und zunehmend islamisch, der Süden matriarchalisch und christlicher Vodoo. In vielen Stämmen arbeiten die Frauen und erhalten die Familie, sind die Landbesitzerinnen und die Männer kommen zur Familie, oder haben mehrere Frauen und trinken häufig. Die Mikrowirtschaft ruht in Frauenhänden. Er meint, die Frauen müssen aber auch sehr viel Zeit, Arbeit und Geld in die Familien- und Stammestraditionen investieren, und gleichzeitig müssen sie sich an die moderne Wirtschaft anpassen, was zuviel ist und auch widersprüchliche Anforderungen mit sich bringt. Er meint, eine Kultur wird in Afrika gewinnen, entweder die afrikanischen Traditionen oder das westliche Leben, er aber wisse nicht welche. Real Africa sei Mali, ansonsten ist er sehr deprimiert und pessimistisch über die afrikanische Situation: wenn man Natur sehen wolle, solle man nach Südostasien gehen, in Afrika gibt es sie nicht mehr, alles verseucht, zerstört, verdorben. Das afrikanische Problem, sagt er, sei die die voraus schauende Planung, die Logistik, die sie nicht bewältigen. Ein Europäer und ein Afrikaner bekommen je einen nagelneuen Mercedes, der Europäer wird ihn sorgsam behandeln und pflegen, Ölwechsel machen etc., der Afrikaner wir ihn die wildesten Straßen herunterjagen, niemals Öl nachgießen und keinen Service machen, und nach 3 Monaten spätestens bleibt er liegen und bleibt auch dort, wo er nicht mehr weiter fuhr. Wahrscheinlich rührt das kulturell verankerte „aus dem Augenblick leben“ daher, dass man in diesem Klima kaum eines räumlichen Schutzes bedarf, in einer Natur einem das Wild oder das Nutzvieh zur Hand bietet, nicht wie in kalten Ländern vorsorgen muss. Er meint, er würde, wenn er zu bestimmen hätte, alle Weißen in die Länder, die sie herausgeschmissen haben, hineinlassen, damit sie die Organisation und die Wirtschaft in Gang bringen.

Alle zwei Stunden bekommen wir Information darüber, dass wir in der nächsten Stunde die nächste Information bekommen. Es wird klar, dass der rechte Flügelmotor (die Boeing 707 hat 3 Motoren, einen auf dem Heck und zwei unter den Flügeln) defekt ist, ein Ersatzteil aus der Schweiz eingeflogen werden muss und wir auf die Reparatur warten. Mohammed sagt, diese Anordnung von Motoren ist insofern ungünstig als beim Ausfall irgendeines der 3 Motoren das Flugzeug unweigerlich abstürzt, bei der Anordnung von je 2 Motoren auf den beiden Flügeln kann ein Motor ausfallen, ohne dass etwas passiert. Ersagt auch, dass jeder Flug über der Sahara sehr gefährlich sei, aus vielen verschiedenen Gründen.

Am Abend müssen wir um 22 Uhr wieder zum Flughafen, sammeln uns vor dem Gate. Gegen 23.30 heißt es, die Maschine müsse zunächst noch einen Probeflug machen, ehe wir wissen ob wir einsteigen können. Gegen 1 Uhr erfahren wir, dass der Probeflug schlecht ausgegangen ist und wir eine weitere Nacht hier bleiben müssen, diesmal im Sheraton Flughafen Hotel. Es dauert eine weitere Stunde bis wir die Flugkarten zurück haben und eine weitere, bis wir gegen 3 Uhr unsere Hotelzimmerschlüssel bekommen. Morgens ist zwischen 8-10 Uhr Frühstück. Mein Zimmer dort ist erheblich besser als das im Steigenberger, doch das Essen ist nahezu gesundheitsschädlich. Die Kellnerin sagt, Air Namibia habe so niedrig verhandelt, dass wir kein besseres Essen bekommen können. Wir bekommen weiter alle zwei Stunden die Information, dass wir in zwei Stunden weitere Informationen abwarten sollen. Plötzlich um 18 Uhr sofort an den Flughafen, eine portugiesische Maschine sei gechartert, die uns aufnimmt, Air Namibia würde vermutlich auch bald flügge, aber sie muss die neuen inzwischen wartenden Passagiere des gleichen Tages aufnehmen. Das Flugzeug ist in sehr zweifelhaftem Zustand, aber das Personal nett und das Essen gut, und wir kommen wohlbehalten in Windhoek an. Nun trennen sich die Wege unserer inzwischen verschworenen Gruppe und nur Helga, Mohammed und ich müssen weiter warten.

Die Logistik im Transferraum des Flughafens Windhoek ist ausgetüftelt: es gibt keine Getränke und nichts zu Essen, auch wenn man lange auf den Anschlussflug warten muss. Telefonieren ist nur mit Telefonkarte möglich. Man kann zwar Geld wechseln, aber eine Telefonkarte gibt es nur außerhalb der Polizeikontrolle zu kaufen, wo man als Transfer-Passagier nicht hin kann. Nach etlichen Fehlversuchen (und Betrugsversuchen) gelingt es, eine Verkäuferin zu verlocken, uns eine Telefonkarte zu holen und so kann ich, können Helga und Mohammed ihre Angehörigen verständigen, wann wir vermutlich ankommen werden.

Kapstadt

K., ein ehemaliger Mitarbeiter aus Aachen, der nun eine Professur in Kapstadt in der Mathematik angenommen hat, holt mich vom Flughafen ab. Ich wohne zunächst bei ihm und wenn ich mit der Arbeit in Windhoek fertig sein werde, kommt er auch, und wir fahren zusammen 10 Tage durch Namibia. Ich hole den in Freiburg vorbestellten Fiat Palio Leihwagen und wir fahren zu seiner Wohnung in einem von 3 runden 16-stöckigen Türmen, von den Kapstädtern die Tampax-Towers genannt, direkt am Fuße des Tafelbergs. Der Blick ist dramatisch: der Tafelberg, der als Teil eines bis zu 1000m hohen steinigen roten, an den flacheren Stellen braungrünen Gebirgszugs Kapstadt nach Westen hin begrenzt, fällt zur Stadt hin steil ab. Er ist mit einem „Tischtuch“ aus einer dünnen Wolke bedeckt, die vom Wind gedrückt, den Abhang hinunterfällt und sich dabei in der Hitze (30Grad C) rasch auflöst. Die Lage der Wohnung bedingt, dass es dort extrem windig ist, man hat Mühe sich gegen den Wind zu bewegen, und auch sehr heiß, denn die steilen Falsen des Tafelbergs strahlen die am Tage gesammelte Hitze direkt wieder ab. Vom 11. Stock des Turms hat man einen sehr schönen Blick auf den Tafelberg, den Lion’s head, und darunter den Hafen. Kapstadt ist äußerst ausgedehnt wegen der hauptsächlich Bungalow-artigen Bauweise, nur in Downtown sind ein paar Wolkenkratzer und Stadtteile mit höheren Gebäuden. Es gibt Stadtteile im elisabethanischen Stil, teilweise San Francisco ähnliche steile Straßenzüge, in den älteren Stadtteilen schöne Gebäude im Kolonialstil, und dann wieder große Hotel- oder Firmengebäude. Die innere Stadt ist ab 17 Uhr ausgestorben und es ist nicht ratsam, sich dann dort aufzuhalten, aber auch tagsüber kann man leicht ausgeraubt werden. Leider ist es laut K. meist auch nicht mit der bereitwilligen Übergabe von Geld getan, da die Angreifer sofort gewalttätig werden. Hingegen gibt es in den äußeren Stadtteilen mehrere Einkaufs- und Vergnügungszentren, deren eines wir gegen Abend besucht haben, die bis spät lebendig sind, und wo man auch später einkaufen kann. Überall allerdings sehr viel Polizei und Sicherheitspersonal, und es sind immer Schwarze, die solche Aufgaben übernehmen. Auch im Auto ist man nicht sicher, car kidnapping ist offenbar der neueste Sport der gewalttätigen Jugendlichen.

Von allen Kapstädtern, die ich getroffen habe, hörte ich, dass sie sich um 5.30 morgens an ihren Arbeitsplatz begeben, weil danach ein Verkehrsstau auf allen in die Stadt führenden Straßen und Highways einsetzt, der einen gut und gern 1-2 Stunden im Stau stehen lässt. Kapstadt hat kein funktionierendes öffentliches Verkehrssystem, wie das ganze Land kaum ein öffentliches Verkehrssystem hat. Es gibt zwar einige Eisenbahnen und Vorortbahnen, doch sie sind in miserablem Zustand und werden nur von Schwarzen benutzt, da für Weiße bzw. Reichere Überfälle wahrscheinlich sind. Transportmittel sind die eigenen Autos, Taxis und kleinere Shuttles, die aber auch nicht sicher sein sollen. (Hier ist die Bezeichnung Blacks, Whites, Coloured für die Malaysier und die sich vermischt habenden Ethnien offenbar politisch korrekt.) Auch die schwarze ANC-Regierung ist das Verkehrsproblem bisher nicht angegangen, wohl da Schwarze sonst Kapstadt überschwemmen könnten: die große Bevölkerungsmehrheit, die sowohl in den jetzt zwar offenen Homelands und in wilden Siedlungen lebt, hätte besseren Zugang zu den reicheren und für Arbeit oder auch Kriminalität aussichtsreicheren Gebieten. Ohnedies ist die Kriminalität ein großes Problem in Südafrika. K. meint, ohne sie wäre das Land die Attraktion für Europäer und Amerikaner (welchletztere hier nicht sichtbar sind), da es klimatisch und landschaftlich wunderschön ist und für unsere Verhältnisse sehr billig. In Kapstadt und mehr noch in Stellenbosch kann man wirklich sehr gut leben, in wunderbarer Natur und angenehmem Klima, mit viel mehr Kultur als in Neuseeland oder Australien, wirklich gutem Essen und gutem Wein - wenn man die Augen verschließt, die Zustände der schwarzen und coloured Bevölkerung übersieht und die natürlich resultierende Gewalt nicht mit betrachtet bzw. sich vor ihr schützt.

Die aus der Apartheid stammende Spannung zwischen schwarz und weiß ist stark spürbar, die Gegensätze zwischen arm und reich sind wesentlich die zwischen Farbigen und Weißen, wobei die eingewanderten Inder und Malaysier u.U. auch gute Geschäfte machen – und es gibt auch schon ein dünne schwarze Oberschicht der ANC-Regierung, die jedoch – im Gegensatz zur Situation in Namibia - noch kaum wahrnehmbar ist. Doch wir haben sie gesehen, und zwar in der in den Kapstädter Zeitungen Aufsehen erregt habenden Oper (eigentlich Operette, aber das wird hier nicht unterschieden) über eine Geschichte von Schwarzen im Theater in Spier.

Die Universität Kapstadt, ist in einem sehr schönen 150 Jahre alten Gebäudekomplex nach englischer Manier untergebracht. Eine Unmenge von Studierenden aller Farben tummeln sich hier, in afrikanisch langsamer Gangart. Sie sind sehr jung, wie in den angloamerikanischen Universitäten kommen sie mit 16-17 Jahren von der Schule und die ersten zwei Jahre des Baccalaureats sind Nachholen unseres Schulstoffs. Überall, auf jeder Stiege sind Sicherheitsbeamte. Die Kollegen berichten davon, dass allein innerhalb der vergangenen zwei Wochen drei ProfessorInnen der UCP ermordet worden sind. K. hat ein wunderschönes Dienstzimmer mit hohen Räumen, das er aber offenbar in den 1,5 Jahren die er da ist, kaum benutzt hat, denn der Internetanschluss funktioniert - zu seiner Überraschung – aber hat noch nie seinen Laptop mitgenommen - nicht.

Ich bin eingeladen von den Mathematikern vorzutragen, es kommen aber auch Informatik-Studierende, die sich aufmerksam anhören, was ich zu sagen habe. Am Ende aber es gibt kaum eine Frage, nur der Head of Department und Tim, der weitere Betreuer von Barbaras Dissertation fragen etwas. Danach gibt es ein von den Informatikern organisiertes finger lunch, sehr nett und schön gemacht, wo auch der Dekan kurz hereinschaut und sich dafür entschuldigt, für meinen Vortrag keine Zeit gehabt zu haben.

Nachmittags haben wir ein 4 Stunden langes Gespräch mit Tim und Les, dortigen Statistikern und Barbara über ihre Dissertation, die ein wissensbasiertes System zum wildlife transfer in Nambia, Botswana, Sambia und Südafrika hergestellt hat, es dazu beschreiben und bewerten soll. Die Dissertation darf aus einzelnen Veröffentlichungen bestehen. Es wird besprochen, was noch an Untersuchungen und Text zur Abrundung zu leisten ist, Tim macht Vorschläge für das Klammerkapitel Komplexität, das die interdisziplinären Anteile, die disziplinären Lücken, die nur heuristisch zu füllen sind und die Verschränkung des Ganzen darstellen soll. Den Abschluss der Promotion bilden 5 auswärtige Gutachten, nicht aus Südafrika, die auch nicht von den BetreuerInnen geschrieben sein dürfen. Doch diese dürfen sie vorschlagen, ein Verfahren, das nach Tims Meinung den Minderwertigkeitskomplex der Südafrikaner gegenüber dem englischen Mutterland geschuldet ist.

Für einen Vortrag an der Universität Stellenbosch fahren wir am nächsten Tag dorthin. Dabei bewegen wir uns ins Landesinnere, in ein breites Tal aus Schwemmland zwischen der Tafelberggruppe und den ca 1500 m hohen Hottentottenbergen. (die Berge heißen noch so, für die Urbevölkerung der San (Buschmänner) ist die Bezeichnung nicht mehr politisch korrekt). Man sieht Kilometer lange Slums entlang der Autobahn, die wilde Siedlungen sind, die von der Regierung dennoch immerhin mit Strom versorgt werden. Sie sehen schlimm aus, wie man es aus Bildern in Südamerika kennt, eine Blechhütte neben der anderen bedecken Hügel und Ebene, man sieht den Rauch und riecht von weitem und lange bis nach Stellenbosch hin die offenen Feuer der wilden Müllverbrennung. Noch nie in meinem Leben habe ich solche Zustände gesehen, nirgends in Namibia sind solche Slums zu sehen, auch nicht in Katatura, wo die frühere Apartheid-Regierung die Schwarzen aus Windhoek hin verfrachtet und eingezäunt und untereinander segregiert hatte. Im Norden etwa auf der Höhe von Stellenbosch steigt das Land an und bildet Hügel, die für den Weinbau genutzt werden. Stellenbosch ist eine wunderschöne kleine Kolonialstadt, mit den reich verzierten Fassaden der ebenerdigen Häuser aus dem 19. Jhdt. und üppig blühenden Gärten. Wir essen zuerst – sehr fein - zu Mittag in einem sehr schönen neu gebauten Restaurants eines Weingutes, eine hier sehr übliche Form kulinarischer Vergnügung. Mein Vortrag kommt nicht so gut an, zu ungewohnt scheinen offenbar die Themen von philosophischen Fundierungen, Technikfolgenabschätzung und Kritik an den epistemischen Veränderungen der Naturwissenschaften durch die Informatik.

Die Universität Stellenbosch ist neben Kapstadt die renommierteste im Land. Sie spielte eine große Rolle bei der Apartheid, indem deren Theologen und Philosophen den ideologischen Überbau für sie lieferten: zunächst wurde behauptet, dass Schwarze keine Seele hätten, dann nach gut calvinistischer Manier argumentiert, dass Gott die mehr liebt, die mehr haben.

Abends fahren wir zunächst nur wenige Kilometer nach Spier, einem Weingut, dessen Besitzer sowohl einen Tierpark als auch einen Open Air Theaterbau zur Verfügung gestellt hat, wobei die Produktionen von großen Firmen, wie AVIS, u.a. gesponsert werden. Wir sehen an diesem Abend Il Trovatore, eine Produktion aus Kapstadt (alle Produktionen reisen hier durch das Land und weiter), mit teilweise sehr guten Stimmen. Insbesondere die Zigeunerin, von einer schwarzen Sängerin dargestellt, singt ganz wunderbar. Das Bühnenbild ist aus Schiffs- und Knochenresten an die eigene Gegend und Geschichte angepasst, die Inszenierung etwas steif. Man verlässt das Theater zum Parkplatz hin durch eine weitere Reihe von Open Air Restaurants und Musikveranstaltungen, Jazz und afrikanische Rockmusikgruppen.

Am Samstag machen wir eine Wanderung auf den Silvermine Mountain. Man muss, wie wohl überall in Südafrika, mit Eintritt, in bewachte und abgeschlossene Gebiete. Von hier kommt man zu einem Stausee, an dessen Ufern Familien ihren Wochenendsausflug machen. Unsere Wanderung auf den Sattel bietet dramatische Blicke auf Berge und Meer, nach beiden Seiten hin. Man sieht schöne fremde Pflanzen, Sträucher und Blumen – sehr viel grüner und kräftiger als die Pflanzen Namibias, was ich erst später anhand der Fotos wahrnehme. Die Sonne ist extrem intensiv, auch wenn es nicht zu warm ist muss man sich schützen mit Hut und starker Sonnencreme.

Abends fahren wir nochmals nach Spier und sehen ein schwarzes Musical, geschrieben von einem nach Namen und Aussehen offenbar indisch- oder malaysisch-stämmigen südafrikanischen Komponisten der Universität Kapstadt. Es ist wieder größtenteils sehr schön gesungen, und jedes Wort verständlich. Die Musik nimmt Anleihen an eine Reihe von romantischen Opern- und neueren Musical-Kompositionen und hat m. E. wenig Eigenleben, doch in der Zeitung wird es ob der inhaltlich gezielten Anleihen mit einigem Theorieüberbau sehr gelobt. Die Handlung ist einfach, benennt aber Hauptprobleme der schwarzen Mehrheit, den weiteren Ausverkauf ihres traditionellen Besitzes an Weiße, die Hoffnungen der Jungen in den neuen politischen Wind, die in die Stadt wandern, um ihre Chancen zu wahren, und sie vermeidet haarscharf ein kitschiges Happyend.

Etwas zum Nachahmen für Europa sind die Geldautomaten bzw. die Art der Banküberweisungen in Südafrika. Beim Einstecken der Karte (auch meiner Eurocard) bekommt man ein Menue mit dem Angebot für beliebige Überweisungen, Wasser- und Stromrechnung, Rentenein/auszahlungen, etc. Erst bei Ablehnung dieses Angebots kann man sich Geld ziehen, übrigens auch mit der Eurocard. Diese Methode vermeidet alle Nachteile und Risiken des Internet Banking, denn man verbleibt im Intranet der Bank. Für die Überweisungen vom eigenen Konto benötigt man 3 Sicherheitspins, wovon eine die Sicherheit gegenüber der Bank garantiert durch ein Zahlentablett mit Zufallsanordnung der 10 Ziffern, welche die Kryptierung leistet.

Am nächsten Morgen sehr früh fahre ich bei schlechtem Wetter mit meinem Leihwagen zum Flughafen, lasse den Wagen abnehmen – der Reservereifen hat leider Luft gelassen, und da werde ich wohl löhnen müssen, und begebe mich dann in eine extrem lange LTU-Schlange von lauter Deutschen, die ich bald wieder verlassen kann, da ich ja zum Air Namibia Schalter muss.